Archiv des Kommuniqué- Bereichs

7. November 2018 08:50

Kommentar zu den Vorkommnissen in Bielefeld

Geschrieben von Ultrà Sankt Pauli in Antirepressiva, Infos, Kommuniqué

Seit über sechzehn Jahren hing unser Banner bei jedem Pflichtspiel des FC St. Pauli. Auch wenn es in über eineinhalb Jahrzehnten mal Probleme bei der Anreise gab, waren wir als Gruppe bei jedem Spiel im Stadion, um das zu repräsentieren, wofür wir, unsere Fanszene und unser Verein stehen. Mit der Masseningewahrsamnahme vom Bielefelder Hauptbahnhof endet diese Serie. Mehrere hundert St. Pauli-Fans verpassten den Auswärtssieg des FCSP und mussten bis weit in die Abendstunden hinein auf dem Vorplatz des Bielefelder Hauptbahnhofs ausharren und sich kontrollieren lassen. Die Betroffenen sind damit ein weiterer Teil einer gewollten Eskalationstaktik der Polizeibehörden geworden.

Die Situationsbeschreibung, die ab Sonntagmittag von der Polizei und dann weitläufig über Agenturmeldungen verbreitet wurde, klingt bedrohlich: Fans randalieren, Polizeikräfte müssen per Hubschrauber eingeflogen werden, um die Situation unter Kontrolle zu bringen und 319 Randalierer werden festgesetzt. Die Frage, ob die Informationen stimmen, die Frage nach Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit wird wie üblich abermals nicht gestellt.

Was hat dazu geführt, dass sich Polizeibeamte herausnehmen, mehrere hundert Personen am Besuch eines Fußballspiels zu hindern? Etwas, das im Fußballkontext an jedem Wochenende hundertfach geschieht: Nichtigkeiten werden von Polizeibeamten für blanke Gewalt und Willkür genutzt. Nach einer von einzelnen Beamten gesuchten Konfrontation und einem Pfeffersprayeinsatz innerhalb eines geschlossenen und fahrenden Zugs verließen am nächsten Haltebahnhof Reisende, Fußballfans wie Unbeteiligte, den Zug, um sich dem Reizstoff zu entziehen. Was auf dem Bahnsteig folgte war ein abermaliges Paradebeispiel für blanke Lust auf Machtdemonstration, Gewalt und gewollte Eskalation seitens der Beamten dieses Staates sowie die nicht vorhandene Bereitschaft, auch nur im Ansatz zu deeskalieren. Hinsichtlich einer eingehenderen Beschreibung der Situation verweisen wir auf die Stellungnahme der Braun-Weißen-Hilfe, sowie auf die des Vereins und des Fanladens. Es ist eine skurril anmutende Situation, wenn eine Personenkontrolle nahezu perfekt inszeniert ist, die Nutzung von sanitären Anlagen oder die Versorgung mit Getränken aber über Stunden nicht möglich ist.

Es bleiben verrückte und absurde Zeiten für Menschen, die der Polizei und ihrer Allmachtsphantasie aufgrund fehlender Lobby oftmals ausgeliefert sind. Wir wissen, dass die Staatsgewalt nach autoritären Gesetzen lechzt und in ihrer Doppelfunktion als Exekutive und politischer Akteur jeden Anlass nutzt, um ihre eigenen politischen Ziele zu verfolgen. Dass die feuchten Träume sich auf neue Polizeiaufgabengesetze stützen und sie erst zufrieden sind, wenn jeder das Mantra vom armen Polizisten, der am Wochenende auch lieber zu Hause wäre und mehr Geld, mehr Kollegen, mehr Waffen im heroischen Kampf gegen das Böse in der Gesellschaft benötigt, mitbetet. Wir wissen, dass diese Personen kein Interesse an einer Deeskalation haben und wir kennen ihre Methoden, Presse wie Öffentlichkeit mit dreisten Lügen und Panikmache für sich zu instrumentalisieren – nicht nur im Fußballkontext. Es ist eine gefährliche Diskussion und Entwicklung, den kranken, autoritären Habitus einer solchen Institution mit noch mehr Handlungsspielraum ausstatten zu wollen.

Die Bereitschaft, wegen Nichtigkeiten gefährliche Waffen wie Pfefferspray willkürlich, inflationär und ohne Rücksicht großflächig einzusetzen, Menschen wegen Belanglosigkeiten ohne Skrupel massiv mit Faustschlägen , Tritten und Knüppelschlägen zu verletzten und ein nahezu sadistischer Gewaltfetisch der geschlossenen Einheiten delegitimiert die Polizei in Summe und sichert ihr den Status als Feindbild Nummer 1 der deutschen Fanszenen.

Ein funktionierender Rechtsstaat kann sich eine Polizei in diesem Zustand im Grunde nicht leisten. Wieder und wieder und wieder einmal hat sich gezeigt, dass Verhältnismäßigkeit, die staatliches Handeln begrenzen soll, keine Rolle spielt. Der vielgerühmte Rechtsstaat lässt sich von den Polizeibehörden regelmäßig am Nasenring durch die Manege führen und verliert so mehr und mehr seine gesellschaftliche Legitimation.

Wünschenswert wäre, dass sich Medienprozesse dahingehend ändern, dass die oftmals völlig absurden Lügen der Polizeibehörden als das behandelt werden, was sie sind: Manipulationsversuche eines politischen Akteurs mit einer freiheitsfeindlichen, undemokratischen und klientelgesteuerten Agenda.

Danke für die Solidarität und die wichtige und deutliche Reaktion des Vereins sowie hunderter Einzelpersonen! Es gibt noch immer nur eins, das größer ist als unsere Liebe zur Freiheit unserer Kurve und Kultur. Unseren Hass auf die, die uns diese Freiheit nehmen wollen.

Ultrà Sankt Pauli, November 2018

6. August 2017 16:14

Südkurve Sankt Pauli – die Kurve der Ultras

Geschrieben von Ultrà Sankt Pauli in Infos, Kommuniqué, Südkurve

Hallo Sankt Pauli-Fans,

es ist fast genau zehn Jahre her, dass aktive Gruppen der Fanszene von der alten Gegengerade sowie viele Einzelpersonen aus allen Stadionbereichen in die damals neu gebaute Südkurve umgezogen sind. Die Rekonstruktion des Stadions bot der Fanszene die historische Chance, neue Wege zu gehen und vor allem einen gemeinsamen Weg zu finden. Die Euphorie war grenzenlos!

Wir haben eine Fankurve geschaffen – die Kurve der Ultras. In Zusammenarbeit mit dem Verein und dem Fanladen wurde ein Konzept entwickelt, das langfristig eine bunte und vor allem laute Kurve am Millerntor schaffen sollte. Im Rahmen dieses Konzeptes vergeben wir bis heute nahezu alle Karten der Südkurve nach gemeinsamer Absprache. Viele Projekte wurden zu dieser Zeit angeschoben, alle mit einem einzigen übergeordneten Ziel: eine Kurve, die unseren magischen FC weit über 90 Minuten hinaus in jeglicher Form unterstützt. Die Fans in den Kurven und die Mitglieder sind der Herzschlag dieses Vereins und werden es immer bleiben.

Die Südkurve ist dabei eine Kurve im Stil der Ultras geworden, ein Anlaufpunkt für alle aktiven Fans. Welle für Welle der Euphorie und des Enthusiasmus schwappte am Anfang durch sie und unglaublich viel wurde ausprobiert, entdeckt und umgesetzt. Die grauen Stufen dieser Kurve wurden durch das Herzblut so vieler Menschen vermutlich zur größten Traumfabrik dieser Stadt.

Nach nunmehr zehn Jahren merkt man jedoch so manches Mal nicht mehr viel von den großen Träumen, Wünschen und Zielen, die 2007 noch in aller Munde waren. Vielmehr hat sich eine Lethargie eingeschlichen, die eine Trägheit und vor allem ein Verfehlen des Ziels mit sich gebracht hat. Die Südkurve hat immer mehr an Power und Lebhaftigkeit verloren. An vielen Stellen, von Mittelblock bis hin an die äußeren Zaunstreben, hat man sich eingerichtet, hat seinen Anspruch verloren und ist schlichtweg lahmer geworden und lässt die Spiele vorbeiziehen. Unter der Oberfläche laufen zwar noch verdammt viele phantastische Dinge, doch beim Kern des Ganzen, der Unterstützung der Mannschaft, haben wir immer weiter abgebaut. Dies ist nicht der Anspruch, mit dem diese Kurve versehen wurde und zu dem sich alle bekannt haben, die eine Saisonkarte für die Südkurve haben. Wir alle haben diese Tickets nur, weil es ein Fankurvenkonzept gibt, für das wir uns alle einmal entschieden haben und mit dem auch eine Verantwortung einhergeht.

Diese Lethargie soll in dieser besonderen Saison – 10 Jahre Südkurve und 15 Jahre USP – endlich durchbrochen werden. Wir wollen den Fokus wieder auf eine kreative, bunte und vor allem laute Kurve legen, in der nicht der Funke vom Rasen überspringen muss, sondern bei der die Mannschaft weiß, dass sie bis zum Ende auf diese Kurve setzen kann. Genauso, wie wir auch die letzte Saison noch erfolgreich beendet und als Südkurve niemals aufgehört haben, an ein gutes Ende zu glauben.

Alle, die in der Südkurve stehen, sind ein wichtiger Teil dieser Kurve und dieses Vorhabens. Denn erst durch die unterschiedlichen Gruppen und Charaktere in der Kurve ist sie so bunt und vielseitig. Hierfür muss jedoch der Anspruch erneuert werden, dass alle hinter dem großen Ziel stehen, jedes Heimspiel zu einem Fest zu machen, zum Ausnahmezustand und zu einem Beweis für die Liebe zu diesem Verein. Hierfür sind nicht allein die Vorsänger oder die größeren Gruppen verantwortlich, sondern wir alle, alle, alle.

USP wird dieses Ziel wieder mehr in den Fokus rücken und die Gruppenaktivitäten darauf ausrichten. Wir werden verschiedene Dinge in der Südkurve ausprobieren mit dem Ziel, die Stimmung zu verbessern beziehungsweise die Gemeinschaft in der Kurve zu stärken und allen die Möglichkeit zu geben, daran teilzuhaben.

Damit einher geht ein zentraler Punkt: die Erwartung, dass ihr euch einbringt. Es wird von jeder und jedem erwartet, sich bei den Spielen an der Unterstützung der Mannschaft zu beteiligen.

Wir werden das offene Mittwochstreffen, das alle zwei Wochen stattfindet, für alle Interessierten öffnen und zu dem Ort machen, an dem fortan die Entscheidungen für die Südkurve getroffen werden. Wenn ihr an der Entwicklung teilhaben wollt, dann laden wir euch herzlich ein, an den Treffen teilzunehmen.

Außerdem werden wir auch diese Saison wieder Südkurven-Mitgliedschaften verkaufen. Für 20 Euro erhaltet ihr wie gewohnt neben Vergünstigungen beim Merch, Informationen über Aktionen, Vorgänge und alles andere, was in der braun-weißen Welt anfällt. Ihr unterstützt damit direkt alle infrastrukturellen und organisatorischen Dinge, die eine starke Südkurve möglich machen. Jede und jeder ist daher aufgerufen, sich anzumelden und die Kurve zu stärken. Die Mitgliedsausweise erhaltet ihr bei den Heimspielen in der Südkurve sowie bei ausgewählten Auswärtsspielen.

Wir haben mit den Meilensteinen unserer Geschichte immer wieder die Scheiben der Normalität eingeschmissen und auf den Scherben getanzt. Und das wollen wir abermals tun – mit euch allen!

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Südkurve Sankt Pauli – die Kurve der Ultras

14. Mai 2017 22:30

Kommentar zu den Hamburger Verhältnissen

Geschrieben von Ultrà Sankt Pauli in Infos, Kommuniqué

In der Ausgabe 197 der ZECK erschien unter der Überschrift “Ultra nervig” ein Artikel von lange anonym gebliebenen Autorinnen und/oder Autoren, der Konflikte zwischen den Hamburger Fanszenen thematisierte. Darin wird ein auf allen Ebenen völlig verzerrtes Bild der aktuellen Zustände gezeichnet, welches wir lediglich aufgrund der Tatsache, dass es in einem von uns geschätzten Leitmedium der radikalen Linken in Hamburg publiziert wurde, in Bezug auf einzelne Aspekte kommentieren möchten. Dies erscheint uns sinnvoll, da von gewissen Kreisen nun bereits mehrfach versucht wurde, Dinge umzudeuten oder Situationen entstanden sind, in denen dieses Thema eine unmittelbare Wirkmächtigkeit entwickelte.

Der Artikel suggeriert fälschlicherweise, es handele sich um einen generischen und von Lokalrivalität geprägten Konflikt zwischen St. Pauli- und HSV-Fans und beklagt dessen vermeintliches Spaltungspotential. Wer die Linke in Hamburg kennt, dem ist jedoch sehr bewusst, dass ein Konflikt zwischen den Farben Braun-Weiß und Schwarz-Weiß-Blau innerhalb von politischen Strukturen stets klein gehalten wurde und die politische Praxis nur in seltenen Fällen beeinträchtigt hat. Schwerere Auseinandersetzungen kamen beispielsweise auf Demonstrationen bis vor kurzem nahezu nicht vor.

Die kritisierte Fußballgewalt ist ein komplexes Feld, bei dem wir sicherlich nicht immer alles richtig machen. Zwischen Selbstverteidigung, der Verteidigung gegen Repressionen des Staates und des Verbands, dem Schutz von eigenen (Frei-)Räumen und Freiheiten, sportlicher Auseinandersetzung auf der Straße und einem Gewaltfetisch sind die Übergänge fließend und werden von jedem anders interpretiert. Maßgebliche Aufgabe einer Gruppe ist es daher, diese Aspekte stets zu bewerten und dabei auch die eigenen Schwerpunkte und Herangehensweisen zu hinterfragen.

In 15 Jahren Ultrà Sankt Pauli wurden Fußballkonflikte von uns diesem Credo folgend fast ausschließlich außerhalb des politischen Kontextes ausgetragen. In den letzten Jahren existierten teilweise beständige, teilweise brüchige und teilweise auch unausgesprochene Agreements, die besonders mit politisch aktiven Fans des HSV bestanden. Das Ergebnis war weitgehende Ruhe im Kontext von politischen Aktionen. Dieser Punkt wird von den Autorinnen und Autoren absichtlich verschwiegen, um von der Tatsache abzulenken, dass die Eskalation und die drastisch veränderte Situation lediglich einige spezielle Gruppen betrifft, die in der jüngeren Vergangenheit alle Regeln gebrochen haben, im Nachgang keinerlei Aufarbeitungswillen oder Selbstreflexion zeigten, sich für ihre Taten noch gefeiert haben und dafür nun die Konsequenzen tragen und weiterhin tragen werden.

Seit rund einem Jahr ist es zu verschiedenen Aktionen gegen Fans und Ultras des FC St. Pauli gekommen, die sich oftmals nicht mehr im Bereich der normalen und gelebten Auseinandersetzung befanden und die wir nicht tolerieren oder vergessen werden. Es handelt sich dabei – neben Dingen wie persönliche Bedrohungen und Angriffe, die für sich schon eine gewisse Grenze überschritten – zum einen um unerträgliche und wiederholte Angriffe durch HSV-Fans auf unterlegene Einzelpersonen (inklusive persönliche Assistenzen), teilweise um St. Pauli-Ultras zu Auseinandersetzungen in die südlichen Vorstädte zu locken. Zum anderen handelt es sich um einen Messerangriff, den die betroffene Person nur durch Zufall überlebte. Der tiefe Stich in den Rücken war der manifeste Höhepunkt einer Reihe von Vorfällen, die offenbart haben, dass selbst der elementare Respekt vor dem Leben abhanden gekommen ist.

Die Verantwortung für diese Dinge wird auf HSV-Seite nicht angenommen. Es war in der Folge kein Hinterfragen erkennbar, keine Distanzierung, sondern im Gegenteil ein Herunterspielen der Vorkommnisse bis hin zur Glorifizierung in Gesprächen (Grinsen und Lachen, wenn das Thema aufkommt), Kurznachrichten (“Vielleicht haben die Zecken es jetzt mal gelernt!”) und Streetart (“Zecken stechen!”-Tags). Für viele im Umfeld unverständlich, haben wir zu Beginn dennoch das Gespräch mit der entsprechenden Gruppe, die sich zumindest in Teilen der linken Szene zugehörig fühlt, gesucht. Nach Diskussion in HSV-Kreisen und zweimaligem Austausch mit USP war und bleibt das Ergebnis schlicht erschreckend und ernüchternd. Folglich handelte es sich dabei um unseren vorerst letzten Versuch, eine Relativierung zu ermöglichen und somit rechnen wir die Taten und den Umgang damit diesen Gruppen direkt zu.

Die entsprechenden HSV-Fangruppen sowie ihre Unterstützerinnen und Unterstützer bis hin zu einem völlig plan- und wirkungslos agierenden HSV-Fanprojekt zeichnen sich nahezu durchgehend dadurch aus, dass Zusammenstöße in “hinterhältige Aktionen” umgedeutet werden. So und mit weiteren Mitteln wie beispielsweise dem Artikel in der ZECK wird verzweifelt versucht, die Isolation aus gewissen Kreisen abzuwenden. Die Möglichkeit einer sportlichen Auseinandersetzung scheint nicht zu bestehen, denn eine Niederlage darf offenbar definitionsgemäß nicht vorkommen. Vielmehr werden Geschichten herbei fabuliert, um Dinge nicht als Niederlage annehmen zu müssen. Diese Herangehensweise und ein falsch verstandenes Gefühl von gekränkter “Ehre” in den Reihen des HSV provozierte und provoziert viele schlimme Übergriffe. In diesem Kontext erscheint der Vorwurf von “Macker-Attitüde” noch einmal wahnsinniger.

Mit Gruppen, die genannte Dinge tun, decken und gar verteidigen und sich darüber profilieren, gibt es keine gemeinsame Basis oder Verständigung, keinen “gemeinsamen Nenner”, sie können keine “Genossinnen und Genossen” sein. Sie sind unsere Gegner und werden so behandelt – und sie bleiben es auch, wenn sie sich in linken Strukturen verorten/bewegen wollen oder sich ein Antifa-Shirt anziehen. Unter anderem haben sie sich für uns für eine gemeinsame linke und emanzipatorische Praxis oder eine gemeinsame Nutzung von Räumen nachhaltig disqualifiziert. Die mantra-artig geäußerte Forderung, dass ausschließlich politische Differenzen geeignet sein dürfen, eine Grenzziehung zu ermöglichen, hielten und halten wir für falsch und werden sie nach den schweren Vorkommnissen bis hin zu einem Fast-Todesfall nicht länger akzeptieren. Die Beschwerden über “Schief-angeguckt-werden” und ähnliche Dinge sind vor diesem Hintergrund schlicht grotesk und völlig weltfremd. Vielleicht gibt es im Elfenbeinturm das Zuckerwatte-Zimmer, in dem alle Konflikte ausdiskutiert werden und man sich bis zur Bewegungslosigkeit reflektiert. In der Südkurve sieht das aber etwas anders aus.

Es ist für uns nicht nachvollziehbar und teilweise respektlos, wie die Geschehnisse in Teilen der linken Szene so leicht abgetan werden – lediglich weil es einen Fußballhintergrund hat, das ganze “Fußballding” sowieso irgendwie nicht in den eigenen Habitus passt und somit die vermeintliche Fokussierung auf politische Inhalte gefährdet sei. In Hamburg sind in der Vergangenheit regelmäßig Personen sehr viel niedrigschwelliger und für sehr viel weniger als einen Mordversuch aus dem Umfeld der eigenen Gruppe aus unseren Strukturen isoliert worden. Es gibt in der Hamburger Politszene ganze Strömungen, die in keiner Weise auf eine “Einigkeit” und “Offenheit” der Linken hinarbeiten, sondern die das Gegenteil forcieren. Auch in dieser Hinsicht sind in der Vergangenheit Konflikte eskaliert. Diese Prozesse und Folgen sind weder für uns noch für die Linke im Allgemeinen erfreulich, neu sind sie jedoch nicht.

Eine weitere Respektlosigkeit, die wir nicht hinnehmen werden: Zwischen den Zeilen wird einer Gruppe, die seit ihrer Gründung vor 15 Jahren Teil der Linken ist, diese Identität abgesprochen. Der Artikel suggeriert Fußball-Idioten, die ihre Konflikte (ja regelrecht von außen) in die eigentlich ja so offene und fokussierte Politszene hineintragen und verdreht damit die Geschichte von St.Pauli-Fanszene / USP / Flora / Linke völlig. Es ist müßig herauszustellen, welche Rolle USP als Teil der Hamburger Linken gespielt hat und spielt – jeder mit ein bisschen Ahnung weiß darum.

Quasi als weitere Nebelgranate verwendet der Artikel Formulierungen wie “Männerfußball”, stellt die vermeintlich männlich dominierte Struktur der Gruppe heraus, bemüht die alte Männlichkeitsleier und wurde mit “Kommando ‘Macker auf den Acker’” unterzeichnet. Es handelt sich um den billigen Versuch, auf irgendeinem heißen En-Vogue-Polit-Ticket noch etwas Rückhalt für die eigenen Forderungen zu behalten. Es gibt sicherlich nur wenige Fangruppen, in denen Frauen so eine tragende Rolle spielen und in denen Antisexismus so eine weit verbreitete und durchdringende Praxis ist. Es macht uns wütend, dass unseren weiblichen Mitgliedern indirekt abgesprochen wird, gleichberechtigter Teil unserer Gruppe zu sein und deren Positionen mitzuentwickeln und zu teilen. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch Frauen Spaß an “Rummackern” oder an anderen vermeintlich männlich konnotierten Verhaltensweisen finden können. Es ist nicht grundsätzlich schlecht, nur weil Männer es tun. Würde man dieser Logik folgen, dann könnten sich Frauen keiner männlich dominierten Subkultur anschließen und sich darin emanzipieren. Und keine Sorge, wir konfrontierten auch Frauen der betreffenden Gruppe und des Umfelds mit diesem Konflikt und werden das weiterhin tun.

Zur Illustration des Artikels wurde zum krönenden Abschluss das Logo eines Blogs gewählt, der schlimme rassistische, sexistische und antisemitische Ausfälle in den Fanszenen sammelt. Jüngst Hitlergrüße und “Arbeit macht frei – Babelsberg 03”-Rufe von Cottbuser Faschisten, schwulenfeindliche Spruchbänder in mannigfaltiger Form oder Spruchbänder der Machart “Femen-Fotzen das Arschloch mit Wichse zubomben”. Hierdurch wird sehr bewusst versucht, eine Brücke vom aktuellen Konflikt zu Dingen zu schlagen, die relativ uninformierte Leserinnen und Leser dazu animieren sollen, den beschriebenen Konflikt wahlweise als bekämpfenswert oder spalterisch/albern einzuordnen. Ein weiterer schwerer Fehler und ein direkter Angriff auf alles, was USP ausmacht. Es ist grotesk, absurd und allein dadurch schon völlig offensichtlich, welche Intention der Artikel hat. Hinzu kommt das latente Abqualifizieren von Habitus, Organisation oder subkulturellen Ausdrucksformen wie Streetart, Kurvenkultur oder Auswärtsfahrten.

Einleitend beklagt der Artikel einen Positionierungsdruck. Ja, den gibt es und diesen werden wir aufrechterhalten. Wir fordern keine Positionierung zu Vereinen und haben das niemals getan, aber wir fordern absolut unnachgiebig eine Positionierung sowohl zu den Vorfällen als auch zu der betreffenden Gruppe und ziehen aus der Reaktion darauf Konsequenzen. Wir würden uns freuen, wenn ihr mit euren Freundinnen und Freunden, mit euren Genossinnen und Genossen darüber sprecht.

Bei Interesse stehen wir nahezu allen anderen Interessierten zur Diskussion zur Verfügung.

Geschichte wird gemacht! Im weiteren Verlauf aber mit ein paar Maden weniger.

Ultrà Sankt Pauli, Mai 2017

25. April 2017 23:35

„Rechtswidrige Beeinträchtigung des Rechts auf Versammlungsfreiheit!“

Geschrieben von Ultrà Sankt Pauli in Infos, Kommuniqué, Veranstaltungen

Pressemitteilung – Hamburg, den 25.4.17

Am Freitag, den 28.4.17 gibt es im Rahmen des Heimspiels FC St.Pauli gegen Heidenheim einen G 20 – Actionday, mit dem die Fanszene des FC St.Pauli sowie die Anwohner des Karolinenviertels ihren Protest gegen den G 20 – Gipfel im Juli 2017 zum Ausdruck bringen werden. Nach dem Spiel wird es ab 21 Uhr eine angemeldete Demonstration vom Stadion durch das Karolinenviertel in Richtung Messehallen geben. „Das ist unser Viertel, unsere Straßen und unsere Plätze, die wir uns nicht nehmen lassen. St.Pauli bleibt unbequem. G 20 stören! Kapitalismus bekämpfen!“, heißt es dazu im Aufruf der Fanszene.

Nun wurde dem Anmelder seitens der Versammlungsbehörde mitgeteilt, der Gang zum Haupteingang des Messegeländes/Höhe Fernsehturm werde nicht genehmigt. Die Demo kann demnach nur durch die Marktstraße nach rechts in die Karolinenstraße bis zum Karolinenplatz gehen und nicht nach links Richtung Messehallen/Fernsehturm, wie bei der letzten Demo am 8.4.17 mit ca. 1000 Teilnehmern noch zugelassen.

Zur Begründung wurde angeführt, die in der Anmeldung angegebene erwartete Anzahl von ebenfalls 1000 Teilnehmern werde erheblich überschritten werden, außerdem nehme das Problem-Klientel von St.Pauli-Fans, namentlich auch USP, an der Demo teil.

Damit würde der politisch wesentliche Teil der Demonstration wegfallen. Dies stellt einen unzulässigen und rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit dar und zeigt, was von den vollmundigen im Namen des Senats geäußerten Erklärungen des Justizsenators Steffen, man werde jeden demokratischen Protest gegen G20 auch am Ort des Geschehens ermöglichen, zu halten ist. Unter dem Vorwand der Kriminalisierung der linken St.Pauli-Fans wird suggeriert, die Polizei sei gut 2 Monate vor dem Gipfel nicht in der Lage, die Messehallen zu schützen. Sobald der schriftliche Bescheid vorliegt, werden gerichtliche Schritte gegen die Verbotsverfügung geprüft und ggf. das Verwaltungsgericht angerufen.

Das repressive und versammlungsfeindliche Vorgehen wird Protest und Widerstand nicht aufhalten können. G 20 not welcome, in Hamburg sagt man Tschüß.

Andreas Beuth – Rechtsanwalt und Versammlungsleiter“

1. Dezember 2013 20:21

Stellungnahme zum Einsatz von Pyrotechnik

Geschrieben von Ultrà Sankt Pauli in Kommuniqué

Sowohl mit dieser und kommenden Publikationen, als auch mit der Choreographie beim Spiel gegen Köln möchten wir eine sachlichere und anders gelagerte Diskussion über Pyrotechnik beginnen – kurzfristig innerhalb der eigenen Fanszene und hoffentlich mittelfristig auch darüber hinaus. Wir empfinden die Wahrnehmung dieses Stilmittels in Deutschland als nicht passend und wollen uns damit beschäftigen, warum dem so ist und wo wir Lösungen sehen.

Anfang bis Mitte der 90er Jahre, als viele von uns begannen, diesen Club zu lieben, brannten in der Gegengerade und auch Nordkurve bei jedem Abendspiel Bengalos – an unterschiedlichen Stellen, völlig unorganisiert und recht chaotisch. Genauso wie am Betzenberg, dem Dortmunder Westfalenstadion und vielen weiteren Stadien. Fans, Reporter und Funktionäre lobten die südländische Atmosphäre. Auf offiziellem Merchandise wurde mit Bengalofotos geworben, TV Sender und Zeitschriften wie Kicker oder Sport Bild garnierten Ihre Geschichten mit leuchtendem Rot – die Fackeln waren weitgehend als Teil der Fankultur akzeptiert.

Mit dem Aufkeimen der Ultràbewegung veränderte sich zunehmend Wahrnehmung und Darstellung von Pyrotechnik. Es wurde aufgrund des Verfolgungsdrucks oftmals leicht zu schmuggelndes Rauchpulver eingesetzt bzw. andere Pyrotechnik einfach auf den Boden geworfen, um unentdeckt zu bleiben. Manchmal wurden Bengalos geworfen oder kullerten auf dem Boden herum und entzündeten so Fanmaterialien, bei anderen Spielen flogen Böller, manchmal geschah auch alles gleichzeitig. Zunehmend veränderte sich auch die Beurteilung der Medien, Funktionäre und Fans zu diesem Thema. Schnell wurde von “Ausschreitungen” und “Randale” gesprochen, es war die Rede von “Chaoten” und dramatischen „Bildern, die wir nicht sehen wollen“. Ultras entwickelten sich in dieser Zeit zum Feindbild Nummer eins der Fußballfunktionäre und auch der Polizei, die nahezu ihre gesamte aufgeblähte Struktur nach dem Abebben der Hooligan-Kultur auf die jugendlichen Fans in den Fankurven ausrichtete. Obgleich es sich um ein völlig anderes Phänomen als den klassischen Hooliganismus handelte, gab es beim Umgang mit Nonkonformität wie so häufig leider nur ein Vorgehen: Repression.

Pyrotechnik verschwand in diesen Jahren mehrheitlich aus den Stadien. Der ungezügelte und von Vermarktungserlösen getriebene Medienrummel rund um den Fußball und das brachiale Vorgehen von Polizei und Verbänden mit dem Ziel, eine “saubere” Weltmeisterschaft 2006 auszurichten, bei der die wilden Kurven doch so gar nicht zum Fanmeilen-Publikum und zum neu entdeckten Party-Nationalismus passen wollten, zeigte Wirkung. Im Laufe der Jahre veränderten diese Umstände die öffentliche Wahrnehmung. Was früher sehr positiv aufgenommen wurde, stieß nun auch am Millerntor auf immer mehr Ablehnung, wurde in Einzelfällen absurderweise gar mit “Nazis raus!” kommentiert – übrigens ohne, dass deswegen wiederum andere pfiffen.

Durch die gestiegene Vernetzung und Selbstreflektion deutscher Ultras veränderte sich in den letzten Jahren auch die Einstellung innerhalb der Szene zu Pyrotechnik. Initiativen wurden gegründet und verbuchten deutliche Erfolge, vielerorts wurde die Diskussion um das Feuerwerk in den Kurven wieder aufgenommen, die Gruppen wurden stärker und mutiger, insgesamt waren immer weniger Leute bereit, sich übertriebene Hysterie und Bevormundung gefallen zu lassen. Sogar erste Gespräche mit Vereinen und Verbänden verliefen erfreulich. Heute vergeht kein Spieltag, ohne dass Fangruppen beweisen, was für eine Bereicherung dieses Instrument für das Kurven- und Fußballerlebnis sein kann. Diverse Spieler und Funktionäre finden differenziertere Worte und plädierten für einen anderen Umgang mit der vielmals gescholtenen Zündelei.

Der DFB und einige Medien ziehen Ihre Linie jedoch weiter stoisch durch und der Verband drangsaliert seine Vereine mit absurden Strafen. Selbst bei kreativem und völlig friedlichem Einsatz heißt es schnell, „die hässliche Fratze des Fußballs“ zeige sich und ebenso schnell bekommt der jeweilige Verein Strafen für seine “sogennanten Fans” aufgebrummt. In den Medien findet nur eine Seite Gehör. Dieses führt in der Wahrnehmung vieler Fans leider zu einer Ablehnung von Pyrotechnik – „sieht super aus und schadet keinem, aber ist ja verboten und kostet uns Strafen.“ Hier möchten wir ansetzen in unserer Diskussion, denn wir können und wollen uns dieser Argumentation nicht mehr anschließen. Es ist schlicht nicht zu akzeptieren, dass sich die Fußballbonzen in Frankfurt die Definitionsmacht darüber anmaßen, wie eine Fankurve auszusehen hat, was zu unserer Kultur gehören darf und was nicht.

Stricken wir die Denke des DFB einmal weiter, dann können wir sie auf andere Teile der Fankultur ausweiten und plötzlich sind Fahnestangen dauerhaft verboten, bestimmte Transparente, unpassende Gesänge oder gar Auswärtsfahrten. Dafür gibt es dann bei “Regelverstößen” Strafen, die Vereine schütteln sich ob der großen Kosten und irgendwann wird über Fahnen argumentiert, sie sähen zwar wunderschön aus, seien aber wegen Vorfällen in der Vergangenheit nun mal verboten und ziehen empfindliche Strafen nach sich. Undenkbar? Mit den Fackeln nahm es mal einen ähnlichen Verlauf und wir möchten diesen gerne unterbrechen. Der Sicherheits-, Kontroll- und Regulierungswahnsinn ist immens, und er droht vieles von dem kaputt zu machen, was den Fußball und seine Kultur ausmacht.

Die Diskussion wird facettenreich und schwierig sein, denn das Thema ist komplex und entwickelt schnell eine enorme Dynamik. Wir wollen zeigen, dass Pyrotechnik sicher und bereichernd sein kann – als weiteres Stilmittel in den Kurven. Der rauchende Joint beim Spiel gegen Frankfurt, jetzt die mysteriöse Voodooküche gegen Köln und der Gruß an Walter Frosch, bunte Lichter und Farbtupfer, die ihren Teil dazu beitragen, aus schnöden Betonstufen etwas Erlebenswertes und Fantastisches zu machen – unser Fankultur. Sie sind Wegweiser, wohin es führen könnte.

Wir erhoffen uns eine Diskussion mit Fans, Spielern und Vereinsoffiziellen, sogar mit Teilen der Medien. Wir möchten, dass Pyrotechnik nicht weiter geächtet, sondern als normaler Teil der Fankultur angesehen wird. Wir wollen über Gefahren und Möglichkeiten sprechen und auch einen weiteren Schritt in Richtung kreativer, bunter aber auch wilder Kurven machen. Denn eins steht fest, so lange es Fans gibt, wird es auch Pyrotechnik geben.

Keinen Schritt zurück!

Ultrà Sankt Pauli

2. April 2010 00:15

Stellungnahme zu den Geschehnissen rund um das Spiel gegen Hansa Rostock

Geschrieben von Gazzetta in Infos, Kommuniqué, Südkurve

In den vergangenen Wochen haben die Diskussionen um die Begleitumstände des Spiels gegen Hansa Rostock den Verein und sein Umfeld in Atem gehalten. Besonders das Verhalten des Präsidiums unseres Vereins stand dabei in der Kritik nahezu aller Fanorganisationen. Für eine genauere Darstellung der Geschehnisse und unserer Bewertung verweisen wir auf die Stellungnahme, die wir im Vorfeld des Spiels veröffentlicht und in der wir unsere Herangehensweise ausführlich erklärt haben. Als sich abzeichnete, dass das Präsidium in keiner Weise bereit war, auf die Argumente der Fanvertreter einzugehen, haben wir gemeinsam mit allen anderen Gruppen des Ständigen Fanausschusses diskutiert, wie dieser Situation zu begegnen ist. Dabei wurden sowohl im Rahmen des Fanausschusses als auch innerhalb der einzelnen Gruppen unterschiedliche, in Ausrichtung und Radikalität verschiedene Konzepte diskutiert. Wir bedauern außerordentlich, dass es aufgrund der ablehnenden Haltung des Präsidiums überhaupt zu solchen Überlegungen kommen musste und jeder Weg verbaut wurde, zumindest innerhalb unseres Vereins gegen den Irrsinn zusammenzustehen, dem wir uns gegenübersehen.

Wir waren mit vielen anderen Gruppen und Einzelpersonen auf der Suche nach einer friedlichen und symbolischen Protestform, die ein maximales Ausmaß an medialer und fanszeneninterner Aufmerksamkeit erzeugt. Gleichzeitig jedoch sollte der eigentliche Spielbetrieb in diesem wichtigen Spiel nicht beeinträchtigt oder gefährdet werden. Alle waren sich in der Bewertung einig, dass es sich bei der aktuellen Entwicklung um einen fundamentalen Angriff auf Fußballfans handelt. Die parallelen Entwicklungen und Fanverbote in anderen Städten haben das in erschreckender Art und Weise bestätigt. Ein leerer Gästeblock ohne Fans war schon Fakt. Die leere Südkurve hat ergänzend dazu überspitzt dargestellt, wie viel dem Fußball ohne Fans fehlen würde. Es war eine symbolische Aktion mit der Aussage „So sieht euer Fußball aus“. Eine symbolische Aktion, die das Aussperren von Fans thematisieren und skandalisieren, und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die aktuelle und nach wie vor wichtige Auseinandersetzung lenken sollte.

Ein Absperren einzelner, kleiner Teilbereiche kann dabei als Protestaktion nur Sinn machen, um gegen konkrete Entwicklungen zu protestieren, die einzelne Gruppen betreffen. Aktuell sind jedoch nicht einzelne Fansegmente, sondern ganze Fanszenen betroffen und es werden komplette Auswärtsblöcke und Heimkurven geschlossen. Die Tragweite dieses Themas konnte unserer Meinung nach im Rahmen einer „Freilass-Aktion“ nur durch komplett freie Stehtraversen angemessen und sinnvoll veranschaulicht werden. Wenn das Zeichen seine Wirkung auch in den Medien entfalten sollte, dann konnte dies nur durch eine zu Anpfiff leere Stehplatzkurve geschehen. Wir haben im Vorfeld die organisierten und aktiven Gruppen der Südkurve um ihre Einschätzung gebeten. Ausgehend von all diesen Überlegungen haben etliche Fans aus verschiedenen Gruppen nach Öffnung der Stadiontore die Aufgänge zu den Traversen blockiert. Im Folgenden möchten wir die offensichtlichen kritischen Elemente an diesem Vorhaben aufgreifen und uns mit unseren Fehlern und Fehleinschätzungen auseinandersetzen.

Das größte Problem ist und bleibt, dass es unglaublich problematisch ist, Solidarität oder Zustimmung von anderen Menschen de facto abzupressen, indem man sie, wie in diesem Fall geschehen, nicht in die Kurve lässt. Wir haben den Eindruck, dass ein Großteil der Fans von den Südkurven-Stehplätzen dem Protest auch in dieser Form aufgeschlossen gegenüberstand, ein weiterer Teil sich zumindest schnell damit abgefunden hatte und ein durchaus überschaubarer Teil mit großer Ablehnung reagierte. Wir wollen uns jedoch gar nicht darauf einlassen, dies näher zu beziffern, denn das schwerwiegende Grundproblem der quasi „aufgezwungenen“ Zustimmung bleibt – auch wenn es nur eine einzige Person gewesen wäre, die durch wollte. Das wussten wir vorher und das haben wir mit Bauchschmerzen zu Gunsten eines starken Zeichens und einem Spielverzicht von nur fünf Minuten akzeptiert. Vor jedem Aufgang waren Fans unterwegs, um andere Fans über die Hintergründe aufzuklären und zu diskutieren, im Umlauf der Südkurve wurden erklärende Banner aufgehängt und alle bekamen ein entsprechendes Flugblatt.

Über mögliche Probleme und Gefahren der Blockade ist im Vorfeld viel diskutiert worden. Immer fest stand, im Falle der kleinsten Anzeichen einer Panik oder einer für Fans gefährlichen Situation die Blockade sofort aufzulösen und die Eingänge freizugeben. Keine symbolische Protestaktion ist es wert, die Gesundheit anderer Fans dafür zu gefährden. Es gab an beiden Enden der Kurve, sowohl auf den Entrauchungsflächen als auch auf den Zugangstreppen, genug Platz, sich der Situation zu entziehen. Dies wird von mehreren Beobachtern, unter anderem dem Fanladen, bestätigt. Wir nehmen die Verantwortung für die von uns geschaffene Situation an und wollen uns nicht hinter einfachen Lösungen oder dem Abwälzen von Problemen auf andere verstecken. Es haben sich viele der Organisatoren explizit um Probleme anderer Fans gekümmert, Menschen mit Einschränkungen, sich offensichtlich unwohl fühlende Personen oder Kinder nach vorne, auf die Treppen oder auf die Tribüne geholt sowie Fans in Bereiche begleitet, die weniger überlaufen waren. Falls es trotz dieser Bemühungen zu anderen Erfahrungen gekommen sein sollte, die nicht auf die generelle Enge, sondern auf die Blockade zurückzuführen sind, entschuldigen wir uns dafür.

Feststellen möchten wir, dass es nach unserem Kenntnisstand während der gesamten Aktion zu keinen Aggressionen oder gar Gewalt der Blockierer kam, die über den einer Blockade innewohnenden passiven Einsatz des eigenen Körpers hinausgehen. So richteten sich auch alle Einsätze des Ordnungsdienstes im Bereich der Aufgänge ausschließlich gegen einzelne Gegner des Protestes, die offensichtlich nur auf Provokationen und eine absolute Eskalation der Situation aus waren und die dabei andere Fans verbal wie körperlich angingen, sie anspuckten oder mit Gegenständen angriffen. Erst im äußersten Fall von persönlichen und körperlichen Angriffen wurde sich gewehrt.

Es war desweiteren nicht Teil des Plans, die Aufgänge zu den Sitzplätze der Südtribüne zu blockieren. Diese Fans waren für die Optik und Aussage einer leeren Stehplatzkurve egal und wir wollten so wenig Menschen einschränken wie möglich. Es wurde allerdings in Kauf genommen, dass sie zu vorgerückter Stunde wegen der vielen Menschen an den Aufgängen nur schwer zu ihren Plätzen gelangen konnten. An dieser Stelle kam es zu unterschiedlichen Auslegungen der Blockade, so dass an zwei Aufgängen zeitweise auch die Aufgänge zu den Sitzplätzen blockiert worden sind. Dies war so nicht beabsichtigt.

Das Ziel, mit der Blockade die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen ist zweifelsohne erreicht worden. Leider fokussierte sich die Aufmerksamkeit schnell ausschließlich auf die Auseinandersetzungen unter den Fans und nicht auf das Thema, das eigentlich vermittelt werden sollte. In dieser Hinsicht ist das Vorhaben, mit der Blockade einen starken öffentlichen Kontrastpunkt zu setzen, in letzter Konsequenz gescheitert und wir würden es in einem ähnlich gelagerten Fall nicht mehr in dieser Form einsetzen. Wir sind dennoch der Meinung, dass das Mittel der Blockade im Grunde geeignet ist, ein passendes Zeichen zu setzen und dass man von Sankt Pauli-Fans in einer relativ kleinen Fankurve erwarten darf, eine getroffene Entscheidung der aktivsten und prägendsten Gruppen zu akzeptieren und den persönlichen Willen bei einem so geringen Einsatz wie am Sonntag gefordert der Solidarität mit anderen Fans unterzuordnen. Vor allem bedauerlich ist, dass offensichtlich bei weitem nicht allen vermittelt werden konnte, worum es überhaupt geht. Hier müssen wir uns Mängel in der Kommunikation und Entwicklung der Aktion vorwerfen lassen. Am Ende standen teilweise Fans gegen Fans wutentbrannt vor einander. Skurril und in der Außenwirkung fatal, denn die anderen Fans sind in ihrer großen Mehrheit nicht unsere Gegner, sondern unsere Mitstreiter als Fans des FC St. Pauli. In einer emotionaler werdenden Situation, in der einige wenige Gegner des Protests alles getan haben um eine Eskalation herbeizuführen, war dann sicher auch das Auftreten einiger Blockierer unglücklich und nicht deeskalierend, die sich in ihrer Verbalität vergriffen und sich aus Schutz vor Kameras vereinzelt mit Schals vor dem Gesicht schützten. Mangelnde demokratische Legitimierung für die Blockade (nur die aktiven und organisierten Gruppen) gepaart mit einer Fehleinschätzung des Solidaritätsgefühls in der Fankurve haben nun dazu geführt, dass aktuell trotz eines letztlich in seiner Außenwirkung geglückten Vorhabens nicht über das Thema als solches gesprochen wird. Das kritisiert uns und das Ziel wurde diesbezüglich verfehlt.

Wir sind nicht der Meinung, dass am letzten Wochenende Gräben unter den Fans aufgerissen worden sind – sie sind nur ein weiteres Mal offensichtlich geworden. Aus den Geschehnissen vor Ort, der anschließenden Diskussion und dem Verhalten einer verhältnismäßig kleinen aber radikalen Minderheit schließen wir, dass es einigen Besuchern der Südtribüne in keiner Weise um inhaltliche Bedenken oder letztlich die im Raum stehenden fünf Minuten ging, sondern um eine Generalabrechnung mit USP. Es entstand eine Situation, in der sie ihrer generellen Unzufriedenheit mit den Leuten, von denen sie sich sowieso schon aus was für Gründen auch immer bevormundet fühlen, konkreten Ausdruck verleihen konnten. Das ist ihr gutes Recht und wurde von uns auch so erwartet. Erschrocken sind wir über die Art und Weise der Unmutsäußerungen. Vielleicht ist St. Pauli in dieser Hinsicht wirklich der einzigartige Verein, in dem Fans andere innerhalb von zwanzig Sekunden sowohl als „schwuler Neger“ und „Nazi“ bezeichnen. Die auch in ihrer Anzahl extremen rassistischen, sexistischen und schwulenfeindlichen Ausfälle sollten jedoch genauso wie der Umstand, dass niemand der Umstehenden eingriff, besser an anderer Stelle weiter thematisiert werden. Auch mit Leuten, die während eines Disputs innerhalb der eigenen Kurve ihr iPhone zücken und die Polizei anrufen, verbindet uns wenig.

Es liegt nun an uns, die Herzen der Menschen zurückzugewinnen, die uns neutral bis freundlich gegenüber standen, und die durch die Blockade verschreckt worden sind. Vor allem liegt es an uns, deutlich zu machen, dass wir uns nicht als „bessere“ Fans verstehen. Dies ist uns offensichtlich bisher nicht richtig gelungen und darauf führen wir einen Teil der jüngsten Entwicklung zurück. Zwar wundern wir uns, mit welcher Selbstverständlichkeit uns in steter Regelmäßigkeit das Fandasein abgesprochen wird, während auf der anderen Seite jede Kritik von uns an anderen Fans zum Selbstverständnis eines „Elitefans“ hochstilisiert wird. Doch auch wenn uns mit einem Teil der Zuschauer im Stadion außer dem Verein, den wir lieben, nichts verbindet, wollen wir unsere sicher gemachten Fehler der Vergangenheit nicht mit denen der anderen aufrechnen, sondern versuchen, auch in Zukunft an ihnen zu arbeiten und Gräben zu schließen, wo wir es für möglich halten. Es tut uns daher sehr leid, wenn andere St. Paulianer beschimpft, schlecht behandelt oder als „Modefan“ abqualifiziert worden sind, denn auch wenn es neben dem „monotonen Gesang“ das gängigste Klischee über die Ultras bei Sankt Pauli ist: Wir haben kein Interesse an einer Diskussion um bessere oder schlechtere Fans am Millerntor. Im Gegenteil haben wir großen Respekt vor so vielen alten Recken, unabhängig davon, wie laut sie singen oder ob sie USP gut oder schlecht finden. Sankt Pauli lebt durch seine Fans, die wir nach ihrer Einstellung beurteilen und nicht dadurch, wo sie im Stadion stehen oder sitzen oder ob sie Leitungswasser, Bier oder Krabbencocktails schlürfen. Wir diskutieren, bilden Meinungen, loben, kritisieren, agitieren – wie alle anderen Fans auch,

Wir bedanken uns für die Solidarität vieler Menschen und Gruppen und auch für die vielen konstruktiven Anmerkungen. Wir haben neben viel Kritik in den letzten Tagen auch sehr viel Zuspruch erfahren und sehen zumindest einen Teil der Fanszene durch die Auseinandersetzungen der letzten Wochen näher zusammengerückt.

Wir bedauern zutiefst und haben bereits im Vorfeld bedauert, dass der gute Umgang mit dem Verein und die in der jüngeren Vergangenheit immer besser gewordene Beziehung zum Präsidium und vor allem zum Präsidenten unter dieser Aktion leiden wird. Der Aktionismus war für uns der einzig verbleibende Weg nach einer ernüchternden Entwicklung von gescheiterter Kommunikation. Trotz aller Enttäuschung über das Verhalten des Präsidiums in den letzten drei Wochen sehen wir keine Alternative dazu, sich innerhalb des Vereins wieder zusammenzuraufen. Der ständige Austausch nützt allen, ein Abbruch würde allen Beteiligten schaden. Der Verein wird nun den Maßstab setzen, wie die nahe Zukunft aussieht.

Wir wussten vorher, dass das Präsidium und die verantwortlichen Vereinsmitarbeiter reagieren müssen und dass wir Privilegien aufs Spiel setzen. Ein Bruch zwischen den Fangruppen und dem Präsidium liegt weiterhin nicht in unserem Interesse. Wir werden jedoch auf eventuelle Maßnahmen, die das Präsidium treffen wird, angemessen reagieren – dies unserem Anspruch folgend so lange es geht in der internen Auseinandersetzung. Wir haben nicht das Verlangen, Konflikte bis zum Äußersten zu treiben, nur um zu zeigen, wie weit die Spirale gedreht werden kann. Wie sich zeigt, lassen sich offene Konflikte vielleicht bei einigen Themen nicht vermeiden, sollten aber in der braun-weißen Welt die letzte Wahl sein.

Ultrà Sankt Pauli im April 2010

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22. August 2009 19:14

Übersteiger meets Südkurve

Geschrieben von Gazzetta in Gazzetta, Kommuniqué

Aufgrund der widerlichen und geschmacklosen Berichterstattung seitens der Hamburger Medien über die Vorfälle von Aachen brachten der Übersteiger und wir heute zum Spiel gegen Duisburg einen gemeinsam gestalteten Flyer heraus.

Den Text findet ihr hier auf dem Blog des Übersteigers.

Mit unserem Leid macht ihr Auflage... Ihr widerlichen Schweine!
Foto: Cajarore

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