Stellungnahme zu den Geschehnissen rund um das Spiel gegen Hansa Rostock

In den vergangenen Wochen haben die Diskussionen um die Begleitumstände des Spiels gegen Hansa Rostock den Verein und sein Umfeld in Atem gehalten. Besonders das Verhalten des Präsidiums unseres Vereins stand dabei in der Kritik nahezu aller Fanorganisationen. Für eine genauere Darstellung der Geschehnisse und unserer Bewertung verweisen wir auf die Stellungnahme, die wir im Vorfeld des Spiels veröffentlicht und in der wir unsere Herangehensweise ausführlich erklärt haben. Als sich abzeichnete, dass das Präsidium in keiner Weise bereit war, auf die Argumente der Fanvertreter einzugehen, haben wir gemeinsam mit allen anderen Gruppen des Ständigen Fanausschusses diskutiert, wie dieser Situation zu begegnen ist. Dabei wurden sowohl im Rahmen des Fanausschusses als auch innerhalb der einzelnen Gruppen unterschiedliche, in Ausrichtung und Radikalität verschiedene Konzepte diskutiert. Wir bedauern außerordentlich, dass es aufgrund der ablehnenden Haltung des Präsidiums überhaupt zu solchen Überlegungen kommen musste und jeder Weg verbaut wurde, zumindest innerhalb unseres Vereins gegen den Irrsinn zusammenzustehen, dem wir uns gegenübersehen.

Wir waren mit vielen anderen Gruppen und Einzelpersonen auf der Suche nach einer friedlichen und symbolischen Protestform, die ein maximales Ausmaß an medialer und fanszeneninterner Aufmerksamkeit erzeugt. Gleichzeitig jedoch sollte der eigentliche Spielbetrieb in diesem wichtigen Spiel nicht beeinträchtigt oder gefährdet werden. Alle waren sich in der Bewertung einig, dass es sich bei der aktuellen Entwicklung um einen fundamentalen Angriff auf Fußballfans handelt. Die parallelen Entwicklungen und Fanverbote in anderen Städten haben das in erschreckender Art und Weise bestätigt. Ein leerer Gästeblock ohne Fans war schon Fakt. Die leere Südkurve hat ergänzend dazu überspitzt dargestellt, wie viel dem Fußball ohne Fans fehlen würde. Es war eine symbolische Aktion mit der Aussage „So sieht euer Fußball aus“. Eine symbolische Aktion, die das Aussperren von Fans thematisieren und skandalisieren, und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die aktuelle und nach wie vor wichtige Auseinandersetzung lenken sollte.

Ein Absperren einzelner, kleiner Teilbereiche kann dabei als Protestaktion nur Sinn machen, um gegen konkrete Entwicklungen zu protestieren, die einzelne Gruppen betreffen. Aktuell sind jedoch nicht einzelne Fansegmente, sondern ganze Fanszenen betroffen und es werden komplette Auswärtsblöcke und Heimkurven geschlossen. Die Tragweite dieses Themas konnte unserer Meinung nach im Rahmen einer „Freilass-Aktion“ nur durch komplett freie Stehtraversen angemessen und sinnvoll veranschaulicht werden. Wenn das Zeichen seine Wirkung auch in den Medien entfalten sollte, dann konnte dies nur durch eine zu Anpfiff leere Stehplatzkurve geschehen. Wir haben im Vorfeld die organisierten und aktiven Gruppen der Südkurve um ihre Einschätzung gebeten. Ausgehend von all diesen Überlegungen haben etliche Fans aus verschiedenen Gruppen nach Öffnung der Stadiontore die Aufgänge zu den Traversen blockiert. Im Folgenden möchten wir die offensichtlichen kritischen Elemente an diesem Vorhaben aufgreifen und uns mit unseren Fehlern und Fehleinschätzungen auseinandersetzen.

Das größte Problem ist und bleibt, dass es unglaublich problematisch ist, Solidarität oder Zustimmung von anderen Menschen de facto abzupressen, indem man sie, wie in diesem Fall geschehen, nicht in die Kurve lässt. Wir haben den Eindruck, dass ein Großteil der Fans von den Südkurven-Stehplätzen dem Protest auch in dieser Form aufgeschlossen gegenüberstand, ein weiterer Teil sich zumindest schnell damit abgefunden hatte und ein durchaus überschaubarer Teil mit großer Ablehnung reagierte. Wir wollen uns jedoch gar nicht darauf einlassen, dies näher zu beziffern, denn das schwerwiegende Grundproblem der quasi „aufgezwungenen“ Zustimmung bleibt – auch wenn es nur eine einzige Person gewesen wäre, die durch wollte. Das wussten wir vorher und das haben wir mit Bauchschmerzen zu Gunsten eines starken Zeichens und einem Spielverzicht von nur fünf Minuten akzeptiert. Vor jedem Aufgang waren Fans unterwegs, um andere Fans über die Hintergründe aufzuklären und zu diskutieren, im Umlauf der Südkurve wurden erklärende Banner aufgehängt und alle bekamen ein entsprechendes Flugblatt.

Über mögliche Probleme und Gefahren der Blockade ist im Vorfeld viel diskutiert worden. Immer fest stand, im Falle der kleinsten Anzeichen einer Panik oder einer für Fans gefährlichen Situation die Blockade sofort aufzulösen und die Eingänge freizugeben. Keine symbolische Protestaktion ist es wert, die Gesundheit anderer Fans dafür zu gefährden. Es gab an beiden Enden der Kurve, sowohl auf den Entrauchungsflächen als auch auf den Zugangstreppen, genug Platz, sich der Situation zu entziehen. Dies wird von mehreren Beobachtern, unter anderem dem Fanladen, bestätigt. Wir nehmen die Verantwortung für die von uns geschaffene Situation an und wollen uns nicht hinter einfachen Lösungen oder dem Abwälzen von Problemen auf andere verstecken. Es haben sich viele der Organisatoren explizit um Probleme anderer Fans gekümmert, Menschen mit Einschränkungen, sich offensichtlich unwohl fühlende Personen oder Kinder nach vorne, auf die Treppen oder auf die Tribüne geholt sowie Fans in Bereiche begleitet, die weniger überlaufen waren. Falls es trotz dieser Bemühungen zu anderen Erfahrungen gekommen sein sollte, die nicht auf die generelle Enge, sondern auf die Blockade zurückzuführen sind, entschuldigen wir uns dafür.

Feststellen möchten wir, dass es nach unserem Kenntnisstand während der gesamten Aktion zu keinen Aggressionen oder gar Gewalt der Blockierer kam, die über den einer Blockade innewohnenden passiven Einsatz des eigenen Körpers hinausgehen. So richteten sich auch alle Einsätze des Ordnungsdienstes im Bereich der Aufgänge ausschließlich gegen einzelne Gegner des Protestes, die offensichtlich nur auf Provokationen und eine absolute Eskalation der Situation aus waren und die dabei andere Fans verbal wie körperlich angingen, sie anspuckten oder mit Gegenständen angriffen. Erst im äußersten Fall von persönlichen und körperlichen Angriffen wurde sich gewehrt.

Es war desweiteren nicht Teil des Plans, die Aufgänge zu den Sitzplätze der Südtribüne zu blockieren. Diese Fans waren für die Optik und Aussage einer leeren Stehplatzkurve egal und wir wollten so wenig Menschen einschränken wie möglich. Es wurde allerdings in Kauf genommen, dass sie zu vorgerückter Stunde wegen der vielen Menschen an den Aufgängen nur schwer zu ihren Plätzen gelangen konnten. An dieser Stelle kam es zu unterschiedlichen Auslegungen der Blockade, so dass an zwei Aufgängen zeitweise auch die Aufgänge zu den Sitzplätzen blockiert worden sind. Dies war so nicht beabsichtigt.

Das Ziel, mit der Blockade die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen ist zweifelsohne erreicht worden. Leider fokussierte sich die Aufmerksamkeit schnell ausschließlich auf die Auseinandersetzungen unter den Fans und nicht auf das Thema, das eigentlich vermittelt werden sollte. In dieser Hinsicht ist das Vorhaben, mit der Blockade einen starken öffentlichen Kontrastpunkt zu setzen, in letzter Konsequenz gescheitert und wir würden es in einem ähnlich gelagerten Fall nicht mehr in dieser Form einsetzen. Wir sind dennoch der Meinung, dass das Mittel der Blockade im Grunde geeignet ist, ein passendes Zeichen zu setzen und dass man von Sankt Pauli-Fans in einer relativ kleinen Fankurve erwarten darf, eine getroffene Entscheidung der aktivsten und prägendsten Gruppen zu akzeptieren und den persönlichen Willen bei einem so geringen Einsatz wie am Sonntag gefordert der Solidarität mit anderen Fans unterzuordnen. Vor allem bedauerlich ist, dass offensichtlich bei weitem nicht allen vermittelt werden konnte, worum es überhaupt geht. Hier müssen wir uns Mängel in der Kommunikation und Entwicklung der Aktion vorwerfen lassen. Am Ende standen teilweise Fans gegen Fans wutentbrannt vor einander. Skurril und in der Außenwirkung fatal, denn die anderen Fans sind in ihrer großen Mehrheit nicht unsere Gegner, sondern unsere Mitstreiter als Fans des FC St. Pauli. In einer emotionaler werdenden Situation, in der einige wenige Gegner des Protests alles getan haben um eine Eskalation herbeizuführen, war dann sicher auch das Auftreten einiger Blockierer unglücklich und nicht deeskalierend, die sich in ihrer Verbalität vergriffen und sich aus Schutz vor Kameras vereinzelt mit Schals vor dem Gesicht schützten. Mangelnde demokratische Legitimierung für die Blockade (nur die aktiven und organisierten Gruppen) gepaart mit einer Fehleinschätzung des Solidaritätsgefühls in der Fankurve haben nun dazu geführt, dass aktuell trotz eines letztlich in seiner Außenwirkung geglückten Vorhabens nicht über das Thema als solches gesprochen wird. Das kritisiert uns und das Ziel wurde diesbezüglich verfehlt.

Wir sind nicht der Meinung, dass am letzten Wochenende Gräben unter den Fans aufgerissen worden sind – sie sind nur ein weiteres Mal offensichtlich geworden. Aus den Geschehnissen vor Ort, der anschließenden Diskussion und dem Verhalten einer verhältnismäßig kleinen aber radikalen Minderheit schließen wir, dass es einigen Besuchern der Südtribüne in keiner Weise um inhaltliche Bedenken oder letztlich die im Raum stehenden fünf Minuten ging, sondern um eine Generalabrechnung mit USP. Es entstand eine Situation, in der sie ihrer generellen Unzufriedenheit mit den Leuten, von denen sie sich sowieso schon aus was für Gründen auch immer bevormundet fühlen, konkreten Ausdruck verleihen konnten. Das ist ihr gutes Recht und wurde von uns auch so erwartet. Erschrocken sind wir über die Art und Weise der Unmutsäußerungen. Vielleicht ist St. Pauli in dieser Hinsicht wirklich der einzigartige Verein, in dem Fans andere innerhalb von zwanzig Sekunden sowohl als „schwuler Neger“ und „Nazi“ bezeichnen. Die auch in ihrer Anzahl extremen rassistischen, sexistischen und schwulenfeindlichen Ausfälle sollten jedoch genauso wie der Umstand, dass niemand der Umstehenden eingriff, besser an anderer Stelle weiter thematisiert werden. Auch mit Leuten, die während eines Disputs innerhalb der eigenen Kurve ihr iPhone zücken und die Polizei anrufen, verbindet uns wenig.

Es liegt nun an uns, die Herzen der Menschen zurückzugewinnen, die uns neutral bis freundlich gegenüber standen, und die durch die Blockade verschreckt worden sind. Vor allem liegt es an uns, deutlich zu machen, dass wir uns nicht als „bessere“ Fans verstehen. Dies ist uns offensichtlich bisher nicht richtig gelungen und darauf führen wir einen Teil der jüngsten Entwicklung zurück. Zwar wundern wir uns, mit welcher Selbstverständlichkeit uns in steter Regelmäßigkeit das Fandasein abgesprochen wird, während auf der anderen Seite jede Kritik von uns an anderen Fans zum Selbstverständnis eines „Elitefans“ hochstilisiert wird. Doch auch wenn uns mit einem Teil der Zuschauer im Stadion außer dem Verein, den wir lieben, nichts verbindet, wollen wir unsere sicher gemachten Fehler der Vergangenheit nicht mit denen der anderen aufrechnen, sondern versuchen, auch in Zukunft an ihnen zu arbeiten und Gräben zu schließen, wo wir es für möglich halten. Es tut uns daher sehr leid, wenn andere St. Paulianer beschimpft, schlecht behandelt oder als „Modefan“ abqualifiziert worden sind, denn auch wenn es neben dem „monotonen Gesang“ das gängigste Klischee über die Ultras bei Sankt Pauli ist: Wir haben kein Interesse an einer Diskussion um bessere oder schlechtere Fans am Millerntor. Im Gegenteil haben wir großen Respekt vor so vielen alten Recken, unabhängig davon, wie laut sie singen oder ob sie USP gut oder schlecht finden. Sankt Pauli lebt durch seine Fans, die wir nach ihrer Einstellung beurteilen und nicht dadurch, wo sie im Stadion stehen oder sitzen oder ob sie Leitungswasser, Bier oder Krabbencocktails schlürfen. Wir diskutieren, bilden Meinungen, loben, kritisieren, agitieren – wie alle anderen Fans auch,

Wir bedanken uns für die Solidarität vieler Menschen und Gruppen und auch für die vielen konstruktiven Anmerkungen. Wir haben neben viel Kritik in den letzten Tagen auch sehr viel Zuspruch erfahren und sehen zumindest einen Teil der Fanszene durch die Auseinandersetzungen der letzten Wochen näher zusammengerückt.

Wir bedauern zutiefst und haben bereits im Vorfeld bedauert, dass der gute Umgang mit dem Verein und die in der jüngeren Vergangenheit immer besser gewordene Beziehung zum Präsidium und vor allem zum Präsidenten unter dieser Aktion leiden wird. Der Aktionismus war für uns der einzig verbleibende Weg nach einer ernüchternden Entwicklung von gescheiterter Kommunikation. Trotz aller Enttäuschung über das Verhalten des Präsidiums in den letzten drei Wochen sehen wir keine Alternative dazu, sich innerhalb des Vereins wieder zusammenzuraufen. Der ständige Austausch nützt allen, ein Abbruch würde allen Beteiligten schaden. Der Verein wird nun den Maßstab setzen, wie die nahe Zukunft aussieht.

Wir wussten vorher, dass das Präsidium und die verantwortlichen Vereinsmitarbeiter reagieren müssen und dass wir Privilegien aufs Spiel setzen. Ein Bruch zwischen den Fangruppen und dem Präsidium liegt weiterhin nicht in unserem Interesse. Wir werden jedoch auf eventuelle Maßnahmen, die das Präsidium treffen wird, angemessen reagieren – dies unserem Anspruch folgend so lange es geht in der internen Auseinandersetzung. Wir haben nicht das Verlangen, Konflikte bis zum Äußersten zu treiben, nur um zu zeigen, wie weit die Spirale gedreht werden kann. Wie sich zeigt, lassen sich offene Konflikte vielleicht bei einigen Themen nicht vermeiden, sollten aber in der braun-weißen Welt die letzte Wahl sein.

Ultrà Sankt Pauli im April 2010

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Von Gazzetta am 2. April 2010 00:15 in Infos, Kommuniqué, Südkurve