Mir leben ejbig! Ein Nachruf auf Esther Bejarano

1924 wurde Esther Bejarano im Saarland in einem jüdischen Elternhaus geboren. Die Familie Bejarano versuchte dem eliminatorischen Antisemitismus des deutschen Faschismus zu entfliehen. Esthers Bruder schaffte es in die USA, ihre Schwester nach Palästina zu fliehen. Für die in Deutschland verbliebenen Familienmitglieder wurde das Leben in Deutschland von antisemitischen Terror bestimmt. Esthers Eltern wurden in Kowno (Litauen) ermordet. Esther musste Zwangsarbeit verrichten und wurde am 19. April 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sie erhielt die Häftlingsnummer 41948.

Ihr Mut, Glück und die Liebe zur Musik verhalfen ihr als Akkordeon-Spielerin dem Mädchen-Orchester von Auschwitz beizutreten. In Lübz (Mecklenburg Vorpommern) wurde Esther und Freundinnen befreit, sie trafen beim Todesmarsch aus den Konzentrationslagern auf Soldaten der Roten Armee und der US Streitkräfte.

Vielen stockte der Atem und die Spucke im Hals wurde bleischwer, wenn Esther von ihren Erfahrungen berichtete. Kaum vorstellbar gerade, diese Geschichte nicht mehr erster Hands hören zu können. Ihre Stimme, ihre Gedanken waren klar, ihre Menschlichkeit in den Vorträgen spürbar und so verhalf sie dabei Generationen zum Zuhören zu bringen und Solidarität zu lernen. Sie gab den 1,3 Millionen Menschen die in Auschwitz ermordet wurden eine Stimme – eine einmalige Stimme, ihre Stimme. Die ohrenbetäubende Stille nach ihrem Tod schmerzt.

Bis zuletzt setzte sich Esther für die hervorgehobene Bedeutung des 8. Mai ein, der Tag der Befreiung, der historischen Niederlage das Nationalsozialismus. Ihr politisches und gesellschaftliches Engagement machte aus einem Erinnern ein Handeln. Es galt alten wie neuen Rechten entgegenzutreten und ihre Worte mobilisierten stets viele Menschen und gaben ihnen den Mut zum Widerstand. Esther machte in diesem Zusammenhang auch immer wieder deutlich, dass wer gegen Nazis kämpfen würde, sich nicht auf den Staat verlassen könnte. Traurig stimmt es einen daher im Hinblick darauf, welche Kämpfe sie zu führen gezwungen war, zum Beispiel der Entzug der Gemeinnützigkeit des VVN-BDA in einer Zeit gesellschaftlichen Rechtsrucks. Ihr Engagement bedeutete Solidarität, mit Geflüchteten, mit gesellschaftlich Marginalisierten, mit den Menschen, die trotz allem den Mut fanden sich gegen die Feinde der Menschlichkeit stark zu machen. Ihre Stimme drang mit einer scharfen Kritik in Bereiche ein, die oftmals viele für unerreichbar hielten. Ihre Stimme war immer zugleich Musik –  wie sie unermüdlich zeigte und auf Konzerten unzählige Menschen mitriss. Unvergessen bleibt uns dabei ihr Auftritt beim Antira 2016 auf Sankt Pauli, als sie auf der Gegengrade sang und Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern und Zusammenhängen bei „Bella Ciao“ mit einstimmten.

Diese Stimme, sie wird fehlen, sie wird vermisst werden. Sie wird aber auch mit unserer aller Hilfe widerhallen und auf ewig bleiben. Ihre Erinnerung und das Andenken an sie bedeuten weiterzumachen: Den Rechten zu trotzen, selbst wenn es uns jetzt schwerer scheint als zuvor.

 

Danke für alles Esther.

 

Von ULTRA` SANKT PAULI am 18. Juli 2021 10:59 in Infos