Der aktuelle Konflikt mit dem DFB
Hallo St. Pauli-Fans,
der regelmäßig wiederkehrende Konflikt zwischen den Fankurven und den Verbänden scheint abermals aufzubrechen. Das Besondere an der aktuellen Situation ist, dass es sich nicht wie sonst an einem abgrenzbaren Thema entzündet, sondern dass der Angriff der Verbände und einiger Funktionäre schnell sehr fundamental wurde. Die deutsche Fanszene steuert daher in der Auseinandersetzung mit dem DFB gegebenenfalls abermals auf unruhige Zeiten zu. Da wir uns auch auf St. Pauli diesem Thema nicht entziehen können und wollen, möchten wir einige Gedanken mit euch teilen.
Das Verhalten der Verbände gegenüber den Fans in den Stadien ist bis auf sehr wenige Ausnahmen seit vielen, vielen Jahren von einer frappierenden Respektlosigkeit und einem Obrigkeitsdenken geprägt. Die Konfliktlinien wie Anstoßzeiten, Vermarktung, Pyrotechnik, Diskriminierung, Stadionverbote, Materialverbote und viele, viele mehr sind bekannt und an anderer Stelle ausgiebig diskutiert worden. Stets möchte der DFB von oben herab diktieren, was „gut“ für den Fußball, was erlaubt und was sanktionswürdig ist.
Die aktuelle Auseinandersetzung hat allerdings eine andere Tragweite und kann als einer der einschneidensten, weil strukturellsten Angriffe auf die Fußballfankultur seit langer Zeit verstanden werden. Nicht wegen der konkreten Auswirkungen eines unterbrochenen Spiels oder eines abgedrehten Empörungsjournalismus, sondern wegen der Art, wie argumentiert wird. Noch deutlicher als sonst zeigt sich, dass innerhalb der Verbände die Auffassung vorherrscht, sie hätten zu bestimmen, wie Fankultur aussieht – und dass sie glauben, dies notfalls mit Strafen von oben verordnen zu können.
Diesem Angriff und dieser Haltung werden wir entschieden entgegentreten.
Wir sind weder aufgeregt noch überrascht von der bekannten Agenda eines korrupten, von Verbrechern und Lobbyisten geführten und weit von den Fans in den Stadien entfernten Verbandes. Wohl überrascht sind wir von der Intensität der Scheinheiligkeit, die nun rund um die Personalie Hopp erzeugt wurde. Erinnern tut das an die Debatte von vor einigen Jahren, als Medien von den „Taliban der Fans“ sprachen, abgehalfterte Moderatoren Schaufensterpuppen mit Bengalos anbrannten und „Experten“ aus allen Löchern krochen. Erfreulich ist im Gegensatz zu der Situation damals allerdings die Fülle an ausgewogenen Berichten und Artikeln, die einerseits kritisch über Fanverhalten berichten, dieses aber auch in einen Kontext stellen und die Hintergründe beleuchten.
Unser Vorgehen werden wir hochgradig auf das zu Grunde liegende Problem ausrichten. Es ist nachvollziehbar, einzelne Akteure anzugreifen, die sich besonders absurd verhalten und wir haben Verständnis für alle, die Dietmar Hopp und seine Eliten-Clique aufgrund ihres Vorgehens in der Auseinandersetzung weiter als Feindbild in den Mittelpunkt stellen. Für uns ist jedoch die größere Betrachtung und der abermalige Versuch der Verbände, die Fanszenen zu spalten und massiv in diese einzugreifen, deutlich relevanter.
Seit es überhaupt eine nennenswerte Fankultur auf St. Pauli gab, gibt es einen Konsens gegen Zensur. Alle Versuche und Drohungen aus der DFB-Zentrale, diesen Konsens zu brechen, schüchtern uns nicht ein, sondern sie machen uns wütend. Wir legen es weder auf eine Spielunterbrechung noch auf einen Abbruch an, aber wir werden nicht eine weitere Sekunde an den Gedanken verschwenden, aus Angst vor Repressionen nicht mehr unsere Meinung zu äußern oder für unsere Kultur, unsere Werte und unsere Freiheit zu kämpfen. Der DFB in seiner jetzigen Form ist der Gegner und nach wie vor die größte Bedrohung. Vielleicht wird es ein schmerzhafter Kampf in den nächsten Jahren, vielleicht entspannt es sich schnell wieder. Das Thema hat jedoch das Potential für einen Kulturkampf, wie es zuletzt der Kampf um Stehplätze in den 1990er-Jahren war – und es wird von Verbandsseite so fundamental gemacht, dass es keine Möglichkeit gibt, es zu ignorieren, sich auf seiner Insel St. Pauli wegzuducken und das Beste zu hoffen.
Setzt der DFB sich mit seinen Allmachtsphantasien, mit seiner bizarren „Sportgerichtsbarkeit“, mit seinen völlig verrückten Strafen und seinem anmaßenden normativen Anspruch, die Kurven zu regulieren durch, dann wird er die Fußball- und Stadionkultur dramatisch verändern. Das Stadionerlebnis wird dann klinisch sauber sein, frei von Beleidigungen, wilden Auswüchsen, kalkulierbar, mit Klatschpappen auf Sitzplätzen und einem unkritischen, pflegeleichten und zahlungskräftigen Event-Publikum. Vielleicht wird der „Moderne Fußball“ eines Tages gewinnen, aber dafür muss er die bestehende Fankultur zunächst in Gänze vernichten. Solange es die leidenschaftlichen Fans in den Stadien gibt, die ihre Liebe zu ihren Vereinen und ihren Kurven nicht dem gierigen und absoluten Vermarktungs-, Sicherheits-, Sauberkeits- und Kontrollwahnsinn opfern wollen, solange geht unser Strich noch immer mitten durch seine Rechnung.
Sie können uns zwingen, ihre Strafen zu erdulden, aber sie können uns nicht zwingen, ihre Regeln zu akzeptieren!
Ultrà Sankt Pauli, März 2020