Spiel in Lübeck
Am kommenden Wochenende steigt nach einer in diesem Jahr eher kurzen Sommerpause Sankt Paulis Saisonauftakt. Die diesjährige Zweitligaspielzeit beginnt mit dem „Heimspiel“ gegen Ingolstadt. Doch die Anführungsstriche lassen es bereits erkennen. Es handelt sich bei dem Spiel an der Lübecker Lohmühle eben nicht um ein Heimspiel im klassischen Sinne. Denn nach einem Becherwurf beim Rückrundenheimspiel gegen Schalke wurde der FC Sankt Pauli im Nachgang dieser Aktion zu einer Heimspielsperre von einer Partie verurteilt. Ein Schelm wer Böses denkt, aber bereits die sensationsgeile Medienberichterstattung ließ damals schon vermuten, dass der Wurf eines 0,5 l Plastikbechers auf den Linienrichter eben nicht als bloßer Emotionsausbruch (ohne schwerwiegende Folgen, auch im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung des Geschädigten) gewertet werden sollte, sondern vielmehr eine Spirale der Skandalisierung in Gang gesetzt hat. Der „Täter“, der einigen Boulevardmedien absurde und reißerische Schlagzeilen einbrachte, wurde in der Folge derart kriminalisiert, dass er sogar seinen Arbeitsplatz verlor, wohingegen der Aufschub der Strafe für den FCSP noch als gnädig gewertet wurde. Doch der Sinn der Strafe bzw. der Sinn des Spielabbruchs überhaupt wurde zu keiner Zeit von keinem der Beteiligten angezweifelt, obwohl doch mit ihm eine höchst zweifelshafte (der Verweis auf Statuten mag dabei immer als Scheinargument gelten) Strafpraxis der Institution des DFB einhergeht, die nach dem Prinzip der Kollektivbestrafung urteilt und somit auch eine weitere Marginalisierung und Kriminalisierung von Fußballfans bedingt.
Daher stellte sich für uns in der Folgezeit die Frage, wie wir in Lübeck auftreten bzw. welche Form der Kritik wir wählen würden, um unseren Unmut über dieses geklaute Heimspiel und die Allmacht- und Bestrafungsphantasien der Liga kund zu tun. Denn gerade derzeit scheint es angebracht zu sein als Fußballfan die Augen offen zu halten, wo doch eine neue Welle an Sanktionen über Fans, die nicht in das Wunschraster des DFB passen, hereinbricht (siehe Kollektivstrafen für die Fans von Frankfurt oder personalisierte Tickets für die Anhänger von Dynamo Dresden in Cottbus). Diese mögen zwar durch die Schaffung eines Bedrohungsszenarios naheliegend erscheinen, zu hinterfragen sind sie dennoch. Denn insgesamt geht der Trend immer mehr in die Richtung, dass bei Vorkommnissen gleich welcher Art unverhältnismäßige Bestrafungen seitens des DFB folgen. Eine Praxis, die für die Zukunft ihre Schatten voraus wirft, indem sie in einem von Sicherheit geprägten Diskurs Bagatelldelikte skandalisiert und eine Verurteilung ganzer Gruppen möglich macht.
Obwohl wir am kommenden Samstag unserem Team nach Lübeck folgen werden, dürfen bei aller Seltenheit eines solchen Spiels und der Tatsache, dass wir uns den Spaß nicht nehmen lassen, die Hintergründe nicht vergessen werden, die zu dieser Bestrafung führten. Unsere Kritik richtet sich dabei gegen den Irrglauben, dass sich menschliches Verhalten durch Sanktionen steuern lässt. „Der Fußball lebt von Emotionen“ heißt es seit jeher und dem Becherwurf, so unglücklich er auch gewesen sein mag, eine derart unverhältnismäßige Bestrafung folgen zu lassen, ist in unseren Augen eine gefährliche und äußerst kritikwürdige Praxis, die von der Fanszene Sankt Paulis nie akzeptiert werden wird. Hier leiden tausende Fans und unser gesamter Verein deutlich unter den Vorstellungen von einem „sauberen“ Fußball und der Bereitschaft, diese Vorstellungen nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit drakonischen, abschreckenden Strafen durchzusetzen. Der Ausflug nach Schleswig- Holstein wird daher eben nicht nur als einmaliges Event mit Seltenheitscharakter angenommen, vielmehr sollte die Kritik dabei im Zentrum stehen und vor einer Etablierung solcher Praktiken gewarnt werden!
Das Spiel in Lübeck ist keine „Gnade“, keine „gute Lösung“ – es ist ein Skandal!
Ultrà Sankt Pauli, Juli 2011