EES
Das Bier am Fanladen, der gemeinsame Gang zum Stadion, diverse Fanzines kaufen, dabei bereits erworbene Exemplare unter den Arm
geklemmt eifrig nach etwas Kleingeld fingernd einen Blick in die Gesichter der Leute werfen. Bekannte und Unbekannte. Gäste-Fans und St. Paulianer. Der Gang zum Eingang. Anstehen. Schnell den letzten Schluck aus der Flasche saugen, damit auch nichts vergeudet wird. „Moin!“, die Prozedur ist bekannt. Arme auseinander, manchmal die Taschen leeren, gegebenenfalls kurz die Kopfbedeckung heben, ein schönes Spiel gewünscht bekommen und freundlich nickend zur nächsten Station. Die Dauerkarte bereits gezückt, das „Moin!“ wird erwiedert, *KNIPS* „Schönes Spiel wünsche ich.“ Es wird sich bedankt und die um ein kleines Stück Plastik ärmere Dauerkarte wieder an ihren angestammten Platz in der Geldbörse manövriert. Südkurve abgreifen, für Choreos spenden, Fanladen-Kabuff, USP-Stand, Bier-Stand, die heiligen Stufen.
Ein jeder hat seine gewohnten Spieltagsriten, doch eines soll uns genommen werden. Der FC St. Pauli plant die Einführung eines Elektronischen Einlass Systems (EES). Zuerst ist da natürlich das rein emotional, subjektive Empfinden, dass dort etwas fehlen würde. Doch auf der Informationsveranstaltung, die am 8. Juni 2011 im Clubheim stattfand, sollten die Argumente für die Einführung dieses Systems dargestellt werden. Keine Frage, dass auch wir uns dies nicht entgehen liessen.
Man sieht auf Vereinsseite derzeit einige Problemfelder, die mit der Einführung des Systems gelöst werden sollen, und somit gleichzeitig zu
Argumenten geformt werden. Da ist:
– Ersetzbarkeit von Dauerkarten
– Schwarzmarkthandel
– Missbrauch von Karten
Dazu kommen weitere Punkte:
– Schnelligkeit
– Sicherheit
Die derzeit nicht mögliche Ersetzbarkeit von Dauerkarten ist tatsächlich ein Argument, dass zieht. Bei der Infoveranstaltung wurde eine Größenordnung von ca. 200 gemeldeten Fällen + einer Dunkelziffer X genannt. Bezüglich des Schwarzmarkthandels wurde es jedoch schon etwas kruder. So konnten die Anwesenden Vereinsvertreter Daniel Bierhoff (als Leiter des Ticketing) und Sven Brux (als Leiter Organisation und Sicherheit) nicht sehr stichhaltig darlegen, wie die Schwarzmarkt-Händler am Verkauf von Tickets gehindert werden sollen. Der Fall, dass bei Ebay eine Karte mit Abbildung zur Sperrung notwendiger Erkennungsmerkmale angeboten wird, dürfte eher die Ausnahme als die Regel sein. Ansonsten ist dem E-bay-Handel nur beizukommen, wenn man durch den Käufer die Daten des Verkäufers erhält, der dann aber auch Mitglied oder Dauerkarteninhaber sein muss, damit eine Verhinderung des Missbrauchs der Tickets im Sinne gewerblicher Nutzung dahingehend fortwährend gewährleistet werden kann. Heißt im Umkehrschluss: Das System kann in Einzelfällen greifen, ist aber kein Allheilmittel gegen den Schwarzmarkt. Es ist sogar so, dass neue Möglichkeiten, des Schwarzmarkthandels entstehen, ungültige Tickets, sei es ob sie gesperrt sind oder bereits zum Betreten des Stadions genutzt wurden, sind mit bloßem Blick nicht als ungültig erkennbar. Ob die Käufer dann rein kommen, interessiert die Verkäufer wenig. Ein Problem, dass vermutlich jedem Groundhopper irgendwie bekannt vorkommen könnte.
Dem Anliegen des Käufers, das Spiel zu sehen, möchte der Verein gerne nachkommen. Eine rote Lampe signalisiert dem Ordner, dass das Ticket ungültig ist, und die Schranke wird sich für diesen Besucher nicht öffnen. Ihm steht aber die Möglichkeit offen, dem Verein zu sagen, woher er die Karte bezogen hat und sich dann eine neue zu kaufen. Den praktischen Lerneffekt des Ganzen formulierte Sven Brux salopp mit „Die Leute sollen lernen, ‚kauf nicht bei irgendwelchen Typen!'“ Ob dieser gewünschte Lerneffekt einsetzen wird, bleibt fraglich, dürfte doch die größte Gruppe der Schwarzmarktkäufer aus einmaligen Besuchern respektive Touristen bestehen.
Das Argument des zeitlichen Vorteils wurde umgehend vom Auditorium entkräftigt, denn auch wenn das Gerät schneller Scannen als Menschen lesen und knipsen können, ist der zeitaufwändige Faktor das Abtasten durch die Ordner, dass natürlich nach wie vor nicht ausbleiben kann, womit weder eine Zeitersparnis noch ein zeitlicher Mehraufwand entsteht.
Auch der Missbrauch von Karten dürfte ein eher marginales Problem sein, sei es durch Nutzung falscher Ermäßigungsnachweise oder Doppelnutzung von Karten. Nichts desto weniger ein Punkt, an dem ein mal mehr klar wurde wie schlecht vorbereitet man von Vereinsseite in diese Veranstaltung ging und wie schlecht die Argumente eigentlich zurecht gelegt worden waren. So sollte die gelbe Lampe den Ordnern helfen, zu erkennen ob eine Karte ermäßigt ist oder nicht. An dieser Stelle müsste sich der Verein doch eher fragen, ob der Ordnungsdienst der Richtige ist, wenn man den Ordnern nicht einmal zutraut, zu erkennen, ob auf einer Karte das Wort „ermäßigt“ abgedruckt ist oder eben nicht. Auch in Hinblick auf die große Zahl der Sponsoren-Steh(!!)platzkarten, die der Verein zu jedem Spiel herausgibt, ein Argument, das wenig überzeugend wirkt.
Die Notöffnung für den Fall einer Panik funktionierte nur schwerlich, als die Vertreter des Herstellers eben diese kurz vorführen sollten. Wir möchten den beiden, die die Probleme auf die komischen Karten, die sie dabei hatten, schoben, mal Glauben schenken. Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch der ungewollt komische Satz „Die Panik funktioniert nicht!“, steht er doch sinnbildlich für die offensichtlich wenig bis gar nicht zu Ende gedachten Planungen des Vereins bezüglich dieser Technik und der damit einhergehenden Gefahr Dinge einfach zu überstürzen.
Der wichtigste und am schwersten wiegende Kritikpunkt bleibt aber der Datenschutz. Das System liest zwar aus dem Barcode nur eine Kombination aus Schlüsseln, also Welches Spiel? Welches Stadion? Ermäßigt? und zusätzlich eine einmalige Kennzahl der Karte, doch bei Dauerkarten sind diese Daten natürlich mit den persönlichen Daten kombiniert. So könnten beispielsweise Bewegungsprofile erstellt werden. Wann ist wer ins Stadion gegangen? Mit wem? Hans geht immer mit Klaus und Julia ins Stadion – aha!
Auch die Polizei hätte natürlich, so sie Gefahr im Verzug sieht, Zugriff auf diese Daten, denn dazu ist der Verein, auch durch den Datenschutz Passus in den AGB gedeckt, verpflichtet. Es stellte sich den kritischen Anwesenden also zwangsläufig die Frage, ob und wie lange solche Daten gespeichert werden müssen und diese Frage wurde dann auch an die Herren Brux und Bierhoff weitergegeben. „Wissen wir noch nicht.“, die ernüchternde Antwort. So wurde zum Abschluss der Veranstaltung noch einmal die eindringliche Rat mitgegeben, sich doch gerade in Bezug auf die Datenschutz-Problematik noch ein Mal dezidiert Gedanken zu machen.
Was bleibt? Wir stehen offenbar wieder vor einem weiteren Schritt in Richtung Arena-Kultur. Für manche sicher schmerzhaft, nur schwerlich abzuwenden. Es gilt jetzt, das ganze so gut wie möglich über die Bühne zu bringen, das heißt die Datenschutz-Bedenken weitesgehend ausschließen zu können. Dazu ist ein Prozess der kritischen Begleitung zwingend nötig. Wir werden dies in jedem Fall tun.