Marsch nach dem Paderborn-Heimspiel
+++ 30 Minuten nach Abpfiff: Südkurvenvorplatz +++
+++ Diffidati-Marsch durch unser Viertel +++
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Hallo Sankt Pauli Fans und Interessierte!
Seit über zehn Jahren finden sich nach Heimspielen unseres magischen FCs Fans zusammen, um noch einmal gemeinsam durch unser buntes Viertel zu ziehen. Oft war es einfach ein nettes Beisammensein, doch ursprünglich handelte es sich um eine Reaktion auf Stadionverbote. Ziel war und ist es, den Leuten, die während des Spiels vor den Toren warten müssen, ebenfalls eine Art Spieltags-Erlebnis zu verschaffen und noch einmal gemeinsam laut und lustig zu sein. So lebten diese Umzüge in der Regel dann auf, wenn es viele Fans mit Stadionverboten gab. Sie waren immer friedlich und positiv aufgeladen. Niemals hat so ein Marsch die Simon-von-Utrecht-Straße Richtung Kiez überquert, niemals wurden Gästefans behelligt, niemals ging von der Veranstaltung Gefahr oder Gewalt aus und niemals wurden Hauptstraßen länger als wenige Minuten blockiert. Im Viertel schlossen sich regelmäßig Fans an, Leute applaudierten und stimmten in die Gesänge ein. Jahrelang war das kein Thema, doch der Wind hat sich offenbar gedreht.
Die Hamburger Polizei, an vorderster Front die sogenannten “Szenekundigen Beamten”, führt ihren völlig von allen Maßstäben und Realitäten entkoppelten Kleinkrieg gegen Fußballfans, gegen alles, was ihnen nicht kontrollierbar genug erscheint. Hierbei geht es schon lange nicht mehr um “Sicherheit”, sondern schlicht um reine Machtspiele, Schikane und ein äußerst irritierendes Verständnis der Hamburger Polizei von Rechtsstaat und Demokratie.
Rund hundert Fans haben jüngst Stadionverbote erhalten. Diese bestehen derzeit, obwohl sowohl Verein, wie auch Fanladen und Anwälte versuchen, etwas an der Situation zu ändern. So weit, so schlecht, war dies vor einigen Wochen der Anlass, sich nach den Spielen wieder zu treffen. Bereits hier begegnete die Hamburger Polizei den Teilnehmern am Pferdemarkt mit hoher Aggressivität und in voller Kampfmontur.
Beim folgenden Spiel gegen Leipzig standen Wasserwerfer, Räumpanzer und ganze Hundertschaften offenbar nur bereit, um einen Marsch zu verhindern. Um die Situation nicht zu eskalieren, wurde nach dem Spiel gegen den FSV Frankfurt auf ein Treffen verzichtet. Auch gegen Braunschweig wurde nicht dazu aufgerufen, doch jeder, der im Viertel unterwegs war, konnte sehen, was passierte. Größere Gruppen von Fans wurden argwöhnisch beäugt und in vielen Fällen von der Polizei mit Knüppeln und Pfefferspray angegriffen. Unter anderem wurden Fans an der Kleinen Pause massiv von der Polizei angegriffen, einem Ort der seit Dekaden zu einem festen Wohlfühlort der Fanszene gehört. Die dort angegriffenen Fans wollten ein Präsent zum 30. Geburtstag der Kleinen Pause überreichen, es war- nach dem RB Leipzig Spiel- bereits der zweite vereitelte Versuch.Einige Verletzte und eine totale Belagerung des Bereiches Paulinenplatz / Jolly Roger rundeten das Bild ab.
Der Fanladen hat sich bereits vor einigen Tagen zu diesem Vorfall entsprechend geäußert.
Es ist ein Verhalten, das mehr an die Mentalität eines Schulhofschlägers erinnert als an eine staatliche Institution. Ganz offenbar geht es schon lange nicht mehr um “Sicherheit“, sondern schlicht um absurde Allmachtsphantasien und Machtbeweise. Die Menschen sollen zu jeder Sekunde spüren, wer die absolute Kontrolle für sich reklamiert. Freiräume werden nicht geduldet und seien sie auch noch so klein. Die Hauptstraße soll frei bleiben? Nach wenigen Minuten biegt der Marsch in die Seitenstraßen ein, gegen Leipzig hat jedoch allein das schwere Polizeigerät für die Verhinderung des Marsches die Straße für 45 Minuten komplett blockiert. Nein, es geht schlicht darum, fernab von irgendwelchen Sicherheits- oder Ordnungszielen den Menschen ihre vermeintliche Ohnmacht zu demonstrieren. Ein bei der deutschen Polizei bekanntes wie auch erschreckendes Vorgehen, das sich in der Regel mit der Lust auf Gewalt durch die eingesetzten Beamten mischt.
Ein besonderer Eskalationsfaktor sind die sogenannten „Szenekundigen Beamten“. Polizeibeamte, die vor vielen Jahren als Schnittstelle zwischen Polizei und Fans geplant waren, in dieser Rolle in Hamburg aber in epischer Weise versagen und Situationen aus gekränkter Eitelkeit und Frustration über die eigene Unzulänglichkeit zur Explosion bringen. Bei HSV-Fans tauchen diese Beamten am Abend vor der Wohnung auf, um Dinge „wie Männer“ zu klären, Sankt Pauli-Fans werden 1:1 Prügeleien angeboten, bei Auswärtsspielen werden Stadtverbote ausgesprochen, es geschehen andere unglaubliche Dinge, fast alle Vorsänger der Südkurve haben von einem dieser Beamten absurde Anzeigen bekommen und auch die Polizeigewalt nach dem Spiel gegen Braunschweig wurde von diesen Verlierern koordiniert. Wer so ein dünnes Fell hat, dass er sich bei einem zugerufenen „Hau ab!“ zu einer Strafanzeige genötigt fühlt, der ist in diesem Spannungsfeld vielleicht auch nicht ganz richtig aufgehoben.
Das Augenmerk der Sicherheitsbehörden ist somit schlicht wahnwitzig. Während es derzeit fast täglich zu schlimmen rechtsradikalen und menschenfeindlichen Anschlägen kommt, während täglich Menschen aus rassistischen Gründen angegriffen und diskriminiert werden, während die Welt aus den Fugen geraten ist und enorme gesellschaftliche wie sicherheitspolitische Herausforderungen bestehen, konzentriert sich die Wut des Apparats und seiner Marionetten auf… Fußballfans. Wer sich an das Absurde gewöhnt, findet sich in dieser Welt gut zurecht. Es ist in dieser Stadt ein offenes Geheimnis, dass die Polizeibehörden und Polizeigewerkschaften außer Rand und Band sind und den Rechtsstaat sowie Politik viel zu oft an der Nase durch den Ring führen. Der ehemalige Innensenator Michael Neumann sprach bereits nach den Polizeiausschreitungen vom Schweinske Cup im VIP-Bereich des Millerntors davon, für Aufklärung zu sorgen und hat in diesem Punkt wahlweise bewusst gelogen oder versagt.
Heimspiel Paderborn:
Wir gehen davon aus, dass wir nach dem Spiel gegen Paderborn wie gewohnt einen friedlichen und bunten Spaziergang durch unser Viertel machen – und wir gehen davon aus, dass die Polizei es dieses Mal unterlassen wird, friedliche Fans einzukesseln, zu behindern und anzugreifen. Weiterhin gehen wir davon aus, dass der neue Innensenator Andy Grote kein Interesse an dieser völlig absurden und unnötigen Eskalation hat und seine Köter zurückpfeift.
Wir werden niemanden um Erlaubnis bitten, uns nach dem Spiel in unserem Viertel bewegen zu dürfen. Es ist seit Jahrzehnten Normalität und wir sind dankbar für unser Stadion mitten in der Stadt, aus dem man nach dem Spiel nicht vor einer Wiese oder in einem Industriegebiet steht, sondern das schillernde und quirlige Sankt Pauli vor sich hat. Tausende Menschen bevölkern nach Heimspielen die Straßen, trinken, singen und lassen den Spieltag ausklingen – und genau so soll und wird es weiterhin sein. Unser Marsch geht vorbei an unseren Kneipen, den Kiosken, die täglich besucht werden und so wie die Fans untrennbar vom Viertel sind, ist der Marsch auch Teil dieser Welt.
Wir rufen alle auf, sich gegen diesen Unsinn und diese Einschränkungen zu stellen, diese kranke Logik zu durchbrechen und mit uns auf den Straßen Sankt Paulis unterwegs zu sein. Wir erwarten euch alle 30 Minuten nach dem Spiel auf dem Südkurvenvorplatz!
Seien es unberechtigte Stadionverbote, die Polizeiaktion im Fanladen, der Polizeiübergriff auf das Jolly Roger oder andere Gelegenheiten. Immer wieder hat sich die Fanszene zusammengetan und über alle Differenzen hinweg zusammengestanden. Wir wünschen uns eine Diskussion über die Vorgänge der letzten Wochen in den vielen Institutionen und Gruppen in und rund um unseren Verein und sind dankbar für Positionierungen und Beiträge, die es bisher bereits intern wie öffentlich gegeben hat.
Für kommenden Freitag gilt: Sagt allen Bescheid und seid am Start! Lasst euch nicht einschüchtern und seid vorbereitet und entschlossen! Verhaltet euch clever und achtet auf dynamische Entwicklungen oder findet eure eigenen Antworten auf die Einschränkungen.
Dieses Viertel und unsere Fanszene haben nicht zuletzt bei den ungerechtfertigten Gefahrengebieten gezeigt, dass gute Ideen und ein unbeugsamer Wille immer stärker sind, als pure Repression. Sollte die Polizei tatsächlich wieder alles mit Masse und schwerem Gerät erdrücken wollen, dann müssen Kreativität und Spontanität dafür sorgen, dass es weiter geht. Oder wir stehen eben alle gemeinsam auf dem Südkurvenvorplatz und lernen für das nächste Mal – bis die Scheiße aufhört.
Denn weiterhin gilt: Es gibt nur eins, das größer ist als unsere Liebe zur Freiheit. Unser Hass auf die, die uns diese Freiheit nehmen wollen.
30 Minuten nach Abpfiff: Südkurvenvorplatz!
Die Geschichte wird auf den Straßen geschrieben.
Ultrà Sankt Pauli, März 2016