RB Leipzig – Feind des Fußballs
Moin St. Pauli-Fans,
am Sonntag spielen wir gegen RB Leipzig. Viele Fanszenen protestieren seit Jahren gegen die Einflüsse des Sponsors Red Bull, der zu der schon sprachlich aberwitzigen Formulierung „Rasenballsport“ Leipzig geführt hat und sein Filialen-System im Sport, welches an Absurdität bis dato nicht überboten werden konnte. Wir wollen es uns nicht zu einfach machen: stumpfe und verkürzte Kritik sind nicht unser Ding.
Dass Verbände und oft ausgegliederte Vereine Sport kommerzialisieren und ihr Handeln auf Erträge ausrichten, ist per se leider nichts Besonderes mehr – es gibt im Falle RB jedoch einige Besonderheiten, auf die sich unsere Kritik konzentriert.
Daher werden wir deutlich unsere Meinung und Kritik an RB zum Ausdruck bringen.
Worum geht es uns genau?
Die 50+1-Regel des DFB und der DFL besagt, dass die Mehrheit der Stimmanteile einer ausgegliederten Profiabteilung eines Vereins immer in den Händen des von Mitgliedern bestimmten Muttervereins liegen muss. Der Verein muss in einer Aktien- oder Kapitalgesellschaft also immer mindestens 50 Prozent plus eine Stimme halten, damit die Mitglieder des Vereins die Kontrolle behalten können. Durch diese Regelung wurden im deutschen Profifußball Übernahmen von Klubs durch Investoren verhindert.
Nun aber hat RB Leipzig nur 24 wahlberechtigte Mitglieder, die auch noch Teil der RB-Geschäftswelt sind. Somit ist Mitglieder- oder Fanbeteiligung nicht möglich. Wer Mitglied werden kann, bestimmen nur wenige Menschen – anders als bei den anderen Bundesligisten, bei denen jede und jeder mit einem entsprechenden Antrag Mitglied werden kann und damit auch über Mitbestimmungsrechte verfügt – eine feudale und zutiefst undemokratische Praxis bei RB.
RB ist somit kein Verein, sondern ein Business-Sportprojekt, das seine Interessen auf kapitalistische Verwertungslogik alleine, ohne demokratische Mitbestimmungsrechte, bezieht und die 50+1-Regelung unterläuft. RB Leipzig ist dabei kein Einzelfall, sondern kann viel mehr als eine weitere Filiale gesehen werden.
Red Bull ist Besitzer oder hält Anteile an FC Red Bull Salzburg, FC Liefering, New York Red Bulls, Red Bull Bragantino, Red Bull Brasil, Leeds United sowie Omiya Ardij.
Bei Austria Salzburg führte die Übernahme so weit, dass der Name, die Vereinsfarben sowie das Logo ausgetauscht und demokratische Prozesse im Verein verhindert wurden. Die aktive Fanszene, deren Kritik damals ignoriert wurde, gründete als Reaktion darauf Austria Salzburg neu, welche mittlerweile in der dritthöchsten österreichischen Fußballliga antritt. RB Salzburg ist zwar sportlich deutlich erfolgreicher, hat aber nach wie vor keine ernstzunehmende aktive Fanszene hinter sich und fristet in dieser Hinsicht ein trauriges Dasein.
Wir hatten bereits 2021 mit einem Spruchband und einer Erklärung zu „Friede den Kurven – Kampf den Verbänden“ unter anderem die überhitzte finanzielle Dynamik des Wettbewerbs, die immer mehr Vereine in den Ruin treibt oder in risikoreiche Finanzkonstrukte drückt, angeprangert. Nachhaltigkeit und neue Demut waren während Corona leere Floskeln der Vereine und Verbände. Die Profitmaximierung des Profifußballs geht seitdem unverändert weiter und findet sich in einem Konstrukt wie RB Leipzig sinnbildlich wieder.
Durch das Filialen-Konzept entstehen zudem auch Wettbewerbsvorteile: Schnelle Transfers zwischen den unterschiedlichen RB-Filialen von Spielern sind mittlerweile Teil jeder Transferperiode. Auch dies macht den ohnehin schwierigen Wettbewerb unfairer als er es schon ist und vergrößert die Schere zwischen finanzstarken und finanzschwächeren Vereinen. Zudem kann sich RB ein „falsch liegen“ bei Transfers schlichtweg leisten, viel einfacher als ein einzelner Verein.
All dies war bereits nach Übernahme des Startrechts des SSV Markränstadt 2009 absehbar.
Wer sich seit 2009 auf dieses Konstrukt einlässt, weiß, dass es sich nicht um einen demokratischen, mitgliedergeführten Verein handelt. Entsprechend sind all jene, die heute in unserem Gästeblock stehen für uns eher als Kund*innen zu verstehen, da sie in ihrem „Verein“ eh keine Mitbestimmungsrechte haben. Aktive Fankultur funktioniert nur kritisch gegenüber den bestehenden Verhältnissen. Jenen im heutigen Gästeblock sprechen wir dieses kritische Bewusstsein ab, alleine da sie sich sehenden Auges auf ein Sponsorenkonstrukt eingelassen haben. Sie haben sich aktiv für diesen Weg entschieden, so absurd es klingt. Wir lehnen jegliche „Fans“ dieses Konstruktes und ihr Konstrukt selbst ab. Ihr habt keinen Platz in unserem Sport, in unseren Stadien und erst Recht werdet ihr niemals Ultras sein!
Unser Fußball spiegelt sich bei allen Widersprüchen des Kapitalismus auch in unserem mitgliedergeführten Verein wider, der manche Meinungsverschiedenheit aushalten muss und nicht immer den profitabelsten Weg wählt. Mitgliederversammlungen wie beim FC St. Pauli wären bei RB Leipzig undenkbar – wir sind überzeugt, dass wir diesen Unterschied immer wieder deutlich machen müssen.
Eines ist jedoch klar: Der Fußball ist nicht gerettet, wenn es RB Leipzig nicht mehr gibt. Fußball ist bereits vor 2009 zu einer Ware geworden, dabei gehen auch wir immer wieder Kompromisse ein und akzeptieren Widersprüche – manchmal auch zähneknirschend. Unser Idealzustand ist auch nicht die 50+1-Regel, sondern eine 100%-Regel. Dennoch: Am Beispiel RB Leipzig zeigen sich in besonderem Maße Problematiken des Fußballs des 21. Jahrhunderts. Wir müssen wachsam bleiben und undemokratische, rein kapitalistische Entwicklungen als solche benennen und kritisieren.
Trotz der genannten Kritik an RB Leipzig, wird es unsererseits keinen Boykott der Spiele geben. Auch an anderen Spieltagen tritt unser Verein gegen undemokratisch geführte Vereine an. Auch andere Akteure agieren gegen Faninteressen. Jedoch werden wir an diesem Spieltag wie auch zu anderen Angelegenheiten unsere Kritik deutlich hör- und sichtbar machen. Wir wissen: Protest ist nie umsonst. Durch aktive Fankultur wurden „englische Verhältnisse” bisher zumindest verlangsamt und einige grobe Missstände abgeschafft. Dass wir in der 2. Bundesliga keine Montagsspiele mehr haben oder die Investorenpläne der DFL jüngst gescheitert sind, ist ohne die Proteste, wie sie auch unsere Fanszene immer wieder geleistet hat, nicht denkbar.
So werden wir dieses Spiel nutzen, um für unsere Vision des Fußballs einzutreten!
Wir sind Sankt Pauli!