Kommentar zu den Vorkommnissen in Bielefeld
Seit über sechzehn Jahren hing unser Banner bei jedem Pflichtspiel des FC St. Pauli. Auch wenn es in über eineinhalb Jahrzehnten mal Probleme bei der Anreise gab, waren wir als Gruppe bei jedem Spiel im Stadion, um das zu repräsentieren, wofür wir, unsere Fanszene und unser Verein stehen. Mit der Masseningewahrsamnahme vom Bielefelder Hauptbahnhof endet diese Serie. Mehrere hundert St. Pauli-Fans verpassten den Auswärtssieg des FCSP und mussten bis weit in die Abendstunden hinein auf dem Vorplatz des Bielefelder Hauptbahnhofs ausharren und sich kontrollieren lassen. Die Betroffenen sind damit ein weiterer Teil einer gewollten Eskalationstaktik der Polizeibehörden geworden.
Die Situationsbeschreibung, die ab Sonntagmittag von der Polizei und dann weitläufig über Agenturmeldungen verbreitet wurde, klingt bedrohlich: Fans randalieren, Polizeikräfte müssen per Hubschrauber eingeflogen werden, um die Situation unter Kontrolle zu bringen und 319 Randalierer werden festgesetzt. Die Frage, ob die Informationen stimmen, die Frage nach Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit wird wie üblich abermals nicht gestellt.
Was hat dazu geführt, dass sich Polizeibeamte herausnehmen, mehrere hundert Personen am Besuch eines Fußballspiels zu hindern? Etwas, das im Fußballkontext an jedem Wochenende hundertfach geschieht: Nichtigkeiten werden von Polizeibeamten für blanke Gewalt und Willkür genutzt. Nach einer von einzelnen Beamten gesuchten Konfrontation und einem Pfeffersprayeinsatz innerhalb eines geschlossenen und fahrenden Zugs verließen am nächsten Haltebahnhof Reisende, Fußballfans wie Unbeteiligte, den Zug, um sich dem Reizstoff zu entziehen. Was auf dem Bahnsteig folgte war ein abermaliges Paradebeispiel für blanke Lust auf Machtdemonstration, Gewalt und gewollte Eskalation seitens der Beamten dieses Staates sowie die nicht vorhandene Bereitschaft, auch nur im Ansatz zu deeskalieren. Hinsichtlich einer eingehenderen Beschreibung der Situation verweisen wir auf die Stellungnahme der Braun-Weißen-Hilfe, sowie auf die des Vereins und des Fanladens. Es ist eine skurril anmutende Situation, wenn eine Personenkontrolle nahezu perfekt inszeniert ist, die Nutzung von sanitären Anlagen oder die Versorgung mit Getränken aber über Stunden nicht möglich ist.
Es bleiben verrückte und absurde Zeiten für Menschen, die der Polizei und ihrer Allmachtsphantasie aufgrund fehlender Lobby oftmals ausgeliefert sind. Wir wissen, dass die Staatsgewalt nach autoritären Gesetzen lechzt und in ihrer Doppelfunktion als Exekutive und politischer Akteur jeden Anlass nutzt, um ihre eigenen politischen Ziele zu verfolgen. Dass die feuchten Träume sich auf neue Polizeiaufgabengesetze stützen und sie erst zufrieden sind, wenn jeder das Mantra vom armen Polizisten, der am Wochenende auch lieber zu Hause wäre und mehr Geld, mehr Kollegen, mehr Waffen im heroischen Kampf gegen das Böse in der Gesellschaft benötigt, mitbetet. Wir wissen, dass diese Personen kein Interesse an einer Deeskalation haben und wir kennen ihre Methoden, Presse wie Öffentlichkeit mit dreisten Lügen und Panikmache für sich zu instrumentalisieren – nicht nur im Fußballkontext. Es ist eine gefährliche Diskussion und Entwicklung, den kranken, autoritären Habitus einer solchen Institution mit noch mehr Handlungsspielraum ausstatten zu wollen.
Die Bereitschaft, wegen Nichtigkeiten gefährliche Waffen wie Pfefferspray willkürlich, inflationär und ohne Rücksicht großflächig einzusetzen, Menschen wegen Belanglosigkeiten ohne Skrupel massiv mit Faustschlägen , Tritten und Knüppelschlägen zu verletzten und ein nahezu sadistischer Gewaltfetisch der geschlossenen Einheiten delegitimiert die Polizei in Summe und sichert ihr den Status als Feindbild Nummer 1 der deutschen Fanszenen.
Ein funktionierender Rechtsstaat kann sich eine Polizei in diesem Zustand im Grunde nicht leisten. Wieder und wieder und wieder einmal hat sich gezeigt, dass Verhältnismäßigkeit, die staatliches Handeln begrenzen soll, keine Rolle spielt. Der vielgerühmte Rechtsstaat lässt sich von den Polizeibehörden regelmäßig am Nasenring durch die Manege führen und verliert so mehr und mehr seine gesellschaftliche Legitimation.
Wünschenswert wäre, dass sich Medienprozesse dahingehend ändern, dass die oftmals völlig absurden Lügen der Polizeibehörden als das behandelt werden, was sie sind: Manipulationsversuche eines politischen Akteurs mit einer freiheitsfeindlichen, undemokratischen und klientelgesteuerten Agenda.
Danke für die Solidarität und die wichtige und deutliche Reaktion des Vereins sowie hunderter Einzelpersonen! Es gibt noch immer nur eins, das größer ist als unsere Liebe zur Freiheit unserer Kurve und Kultur. Unseren Hass auf die, die uns diese Freiheit nehmen wollen.
Ultrà Sankt Pauli, November 2018