Aus Gazzetta 127: Interview mit dem Athens Klub

never againSeit Januar 2007 gibt es organisierte Sankt Pauli-Fans in der griechischen Hauptstadt Athen.
Gut 2000 Kilometer vom Millerntor entfernt treffen sich die Mitglieder des St. Pauli Athen Klubs, um die Spiele live zu schauen, über unsere Mannschaft zu diskutieren oder Reisen nach Deutschland zu organisieren.
Auch andere Aktivitäten und der politische Anspruch kommen nicht zu kurz.
In der Gazzetta 127 vom nächsten Heimspiel gegen Kaiserslautern gibt es neben vielen anderen Dingen auch ein sehr interessantes Interview mit dieser Enklave.

Wann genau wurde der Athen Klub gegründet?
Den Sankt Pauli Athen Klub gibt es nun schon seit Anfang 2007, also schon über 3,5 Jahre. Seitdem ist der Klub eigentlich kontinuierlich aktiv gewesen.

Wie kam es zu der Gründung?
St. Pauli war in Griechenland zwar schon irgendwie ein Begriff, aber bevor das Internet es so einfach gemacht hat, sich zu informieren, war das nicht so ausgeprägt. Doch viele Leute kannten die Mannschaft, natürlich vor allem wegen der Fanszene und all‘ den Mythen, die mir ihr verbunden sind. Vor einigen Jahren hat jemand, der sowieso einen engen Bezug zu Hamburg und zu St.Pauli hatte, ein Jahr in Hamburg gelebt und ist dann natürlich regelmäßig ins Stadion gegangen. Jahre nach seiner Rückkehr nach Athen hat er ein Posting im Internetforum von St. Pauli gefunden, in dem ein anderer Grieche nach St.Pauli-Fans in Athen gefragt hat. Diese Beiden haben sich dann getroffen und gemeinsam die Sache gestartet. Also eine Mischung aus Zufall und persönlichen Erlebnissen von Einzelpersonen.

Du sprichst, die Mythen an, die der Fanszene und dem Verein vorauseilen. Kannst du das genauer beschreiben?
Viele Leute in Griechenland haben ein sehr stilisiertes Bild von St. Pauli, auch begünstigt durch die teilweise sehr klischeehafte Berichterstattung in den Medien. Ich erinnere mich an einen Bericht in einer der größten griechischen Zeitungen mit dem Titel „Rock, Fußball, Porno“ in dem alle Klischees, die so kursieren, wirklich überstrapaziert worden sind. Sowas prägt natürlich. In der Wahrnehmung vieler bewegt sich alles zwischen Rock- und Punkmusik, Underdog-Fußball, Anarchismus, Antifa-Hooligans, absoluter Begeisterung für die Mannschaft, das Anrüchige durch das Umfeld, Antifaschismus, Rüpelhaftigkeit, der Kampf gegen den modernen Fußball und sowas halt. Das ist für sehr viele Leute einfach ungeheuer sympathisch und liebenswert. Es war auch für viele die Motivation, sich mehr mit St. Pauli zu beschäftigen und so immer mehr zu erfahren. Die Leute im Athen Klub haben da nun ein differenzierteres Bild, da wir uns viel mit allem rund um den FC St. Pauli beschäftigen.

Was für Leute befinden sich im Athen Klub und im Umfeld?
Es sind Leute, die sich aus verschiedensten Gründen für St. Pauli interessieren. In der Regel sind es natürlich Fans anderer griechischer Vereine, die St. Pauli mögen und interessant finden. Doch es gibt auch Fans, die keiner anderen Mannschaft folgen. Oder auch erst seit einiger Zeit keiner Mannschaft mehr folgen, die einfach zu enttäuscht von der Entwicklung, vom modernen Fußball sind. Hinzu kommen Linke und Anarchisten, die etwas mit St. Pauli verbinden.

Gibt es da keine Probleme mit den verschiedenen Fans? Aus Griechenland kennt man ja den großen Fanatismus der Fans und ihre Identifikation mit ihrem Team.

Nun, es gibt natürlich die Neckereien, die man erwarten kann, aber in den Momenten sind wir alle für St. Pauli da ,und wir versuchen, unsere anderen Vereinszugehörigkeiten da so weit wie möglich herauszuhalten. Es mag sein, dass es für einen Olympiakos-Fan einfacher ist, sich mit anderen Olympiakos-Fans zusammenzusetzen, aber im Grunde kommen wir alle super miteinander aus. Bisher haben alle die anderen respektiert und es gibt einfach fast keine Gespräche über die anderen Teams.

Sind die Fans im Athen-Klub denn eher Sympathisanten oder richtige Fanatiker ihrer jeweiligen Mannschaft?
Auch da gibt es natürlich keine Einheitlichkeit. Einige fühlen sich einfach einer griechischen Mannschaft zugehörig, so ganz locker. Andere sind schon wirklich stark involvierte und organisierte Fans oder Ultras ihres Teams.

Der Name des Klubs deutet ja einen gewissen Athen-Zentrismus an. Stimmt das?
Nein, das würde ich nicht sagen. Bei uns sind Fans aller Mannschaften willkommen und finden sich auch. Auch zum Beispiel Fans von Vereinen aus dem nordgriechischen Thessaloniki, die in Athen wohnen. Genauso wie von vielen anderen kleineren Teams außerhalb von Athen. Wir stehen immer mal wieder in Kontakt mit solchen Interessierten. Allerdings befindet sich der Klub nun mal hier in Athen. Hier wurde er gegründet und hier finden alle seine Aktivitäten statt.

Was für Aktivitäten sind denn das?

Wir schauen jedes Heim- und Auswärtsspiel gemeinsam in einer Bar im Athener Stadtteil Exarchia auf einer großen Leinwand, machen danach unsere wöchentliche Besprechung und diskutieren verschiedene Themen. Wir planen Reisen zu Spielen nach Deutschland. Schon zweimal haben wir hier in Athen St. Pauli-Partys organisiert, die ein großer Erfolg waren. Hinzu kommen oft politische Veranstaltungen, an denen wir teilnehmen und uns beteiligen. Ganz wichtig ist noch unsere Internetseite. Die Seite vom Athen Klub ist unter fcstpauli.gr zu finden. Das Wesentliche ist für uns dort das Forum, indem wir auch viele Dinge besprechen, in Kontakt bleiben, Sachen planen und einfach kommunizieren. Es gibt dort auch einen englischsprachigen Bereich, in den wir an dieser Stelle nochmal alle Interessierten herzlich einladen möchten! So könnten wir uns alle viel besser vernetzen und würden mehr von einander mitbekommen. Im Grunde versuchen wir, auf der Seite eine Berichterstattung über unsere Mannschaft für griechische Fans zu bieten, für Leute, die sich über Sankt Pauli informieren wollen. So gibt es zu jedem Spiel einen Bericht auf Griechisch und auch so hin und wieder Artikel über die aktuelle Situation.

Wie viele Mitglieder hat der Klub. Wie viele Leute kommen zu den Veranstaltungen.
Der Klub hat circa 40 Mitglieder, die einen halbjährlichen Beitrag zahlen. So wird die Existenz des Klubs möglich gemacht. Bei den Spielen kommen durchschnittlich 15-30 Leute zusammen. Bei wichtigen oder besonderen Spielen auch mal mehr. Im Forum beteiligen sich immer so 20 Leute an den Diskussionen, die den Klub betreffen. Bei den beiden Partys waren jeweils weit über 1000 Leute. Natürlich versuchen wir auch, Reisen nach Hamburg oder zu den Auswärtsspielen zu organisieren. Beim letzten Spiel gegen Hansa Rostock waren zum Beispiel 12 Leute vom Athen Klub in Hamburg. Die Idee am Anfang war allerdings eine andere: es sollte eigentlich eher ein Internet-Club sein, eine Plattform für St. Pauli-Fans aus Griechenland. Das kann man auch an der Seite noch sehen, auf der es aktuell 545 Mitglieder gibt. Hinzu kommen die, die regelmäßig die Seite besuchen, aber sich nicht registriert haben, so dass sie nicht ins Forum posten, sondern nur lesen können.

Gab es schon öfters Ausflüge nach Hamburg? Sind weitere geplant?
Ja, es gab schon einige. Das größte im Rahmen des Klubs organisierte war beim Heimspiel gegen Hansa, wo 12 Leute gekommen sind. Dann noch beim Spiel gegen Mainz, vorletzte Saison auswärts in Gladbach mit dem USP-Bus, eine Woche davor beim Heimspiel gegen 1860 und einzelne Personen sind mehrmals gefahren, vor allem zum den Pokalspielen. In dieser Saison sind ebenfalls Besuche geplant. Vor allem wegen der guten Flugverbindung nach Berlin haben wir das Spiel dort ins Auge gefasst. Aber auch so natürlich einige Spiele, bei denen ein Besuch vielleicht möglich ist. Das Spiel gegen Rostock ist natürlich wieder sehr reizvoll für viele. So eine Reise bedeutet für uns immer einen großen organisatorischen und finanziellen Aufwand. Wenn dann noch so Dinge wie die späte Terminierung der Spiele dazukommen, dann wird es einem schon sehr schwer gemacht, seine Mannschaft zu unterstützen.

Wo wart ihr im Stadion, wenn ihr in Hamburg wart?
Ich war früher fast immer in der Nordkurve, weil meine Bekannten, die Leute von „Bright Side St. Pauli“, dort ihre Stammplätze hatten. Andere in der Regel in der Gegengerade. Seit die neue Südkurve steht waren wir natürlich immer dort.

Du hast vorhin erwähnt, dass ihr euch im Athener Stadtteil Exarchia trefft – dort, wo auch die Party stattfand. Erzähl uns kurz etwas über Exarchia.

Exarchia ist im absoluten Zentrum von Athen. Es gilt als alternativstes Viertel in Athen. Es ist vielleicht ein wenig mit dem Schanzenviertel in Hamburg vor 15 Jahren vergleichbar. Jedenfalls ein bisschen. Viele Studenten, Linke und Anarchisten wohnen in Exarchia und es gilt daher als Hochburg der anarchistischen Szene, die in Griechenland sowieso stark ist. Die Polizei kommt in der Regel nicht nach Exarchia. Schon mehrfach wurden sie von den Bewohnern direkt angegriffen, wenn sie sich ins Viertel gewagt haben und es kam dann in der Regel zu schweren Auseinandersetzungen. Oft ist Exarchia abends und nachts komplett von Bullen umstellt, die aber nicht hineinkommen. Das führt dazu, dass sie an den Viertelgrenzen oft angegriffen werden, auch mit Molotow-Cocktails oder solchen Dingen. Auch Demonstrationen endeten in der Vergangenheit oft in der Nähe von Exarchia um einen Rückzugsraum und Schutz vor den Angriffen des Staates zu schaffen. Vor ein paar Wochen hat jemand auf einen vorbeifahrenden Polizeibus geschossen. Das Viertel liegt direkt an der ehemaligen polytechnischen Hochschule, die 1973 zum Symbol des Widerstands gegen den griechischen Faschismus wurde. An der anderen Seite grenzt Exarchia übrigens an eines der sehr reichen Viertel Athens, an Kolonaki. Jedenfalls treffen wir uns in Exarchia, sind dort auch teilweise in Projekten aktiv und haben dort auch auf einem Hügel unter freiem Himmel die Party veranstaltet.

Erzähl‘ noch kurz was von der letzten Party. Es ist ja schon besonders, dass dort so viele Leute kommen!
Ja, absolut. Wie gesagt, St. Pauli hat einfach einen riesengroßen Sympathisanten-Kreis in Griechenland, besonders im Athener Stadtteil Exarchia. Wir freuen uns darüber natürlich sehr, zumal es auch nicht irgendeine Party war, bei der wir eine St. Pauli-Fahne aufgehängt haben, sondern es war eine reine St. Pauli-Party vom St. Pauli Athen Klub. Sie stand unter dem Motto: „Kick fascism out of your life! Kick Nazis out of football!”. Bei den weit über 1000 Besuchern sah man richtig viel St. Pauli Merchandise, nicht nur die Shirts vom Athen Klub, sondern auch Sachen aus Hamburg, sowohl von den Ultras als auch aus dem offiziellen Sortiment. Besonders der Totenkopf hat es den Leuten angetan. Es gab bei der Party sechs Liveauftritte aus den Bereichen Reggae, Punk, Dubstep und Drum n´ Bass, die für richtig gute Laune sorgten. Ich glaube, alle Besucher waren zufrieden. Wir haben so viele Shirts verkauft und so viele Leute haben sich weiter über St. Pauli informiert. Wir hatten einen entsprechenden Text über unsere Mannschaft vorbereitet und den verteilt. Ich glaube, an dem Abend hat St. Pauli nochmal viele Freunde in Griechenland gewonnen.

Noch viele weitere Fragen, das ganze Interview gibt es dann in der nächsten Gazzetta. Bis dahin sei nochmal auf die Internetseite des Athens Klub hingewiesen: fcstpauli.gr

Von Gazzetta am 12. September 2009 18:21 in Gazzetta
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