Fussball und Nationalismus
Definition und Begriffsbestimmung
Nationalismus
Unter Nationalismus verstehen wir eine imaginäre Gemeinschaft (Sozialwissenschaftler Benedict Anderson), deren Bezugspunkt unterschiedlich sein können, wie z.B. Biologie (“Rasse”), Herkunft, “Sekundärtugenden”. Das dem Nationalismus zu Grunde liegende Modell von Ein- und Ausschluss fördert daher schon per se Rassismen, (antisemitische) Klischees usw.
Wenn der deutsche Nationalist auf sein vermeintliches Recht pocht, mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen zu wedeln mit der Begründung, dass in anderen Ländern ganz Nationalstolz ganz normal sei, ist das eben nicht das Gleiche, auch wenn jedwege Art von Nationalismus dumm und gefährlich ist. Die Initiative “I can’t relax in deutschland”, die gegen den aufstrebenden Nationalimus in der Pop-Musik agiert, schreibt dazu:
„(sind die) […] historischen Konstitutionsbedingungen von Nation zu Nation nämlich sehr verschieden und sollten auch in ihrem Verhältnis zueinander betrachtet und kritisiert werden […] Das deutsche Nationalbewusstsein beruht v.a. auf dem »Volk«, der gemeinsamen Abstammung als Ausschlussprinzip alles »Nichtdeutschen«. Erst auf dieser Grundlage konnte sich der rassenideologisch motivierte Vernichtungswille der Deutschen herausbilden und in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« verwirklichen. Dies geschah eben nicht »irgendwo«, sondern in Deutschland. […]“ (Quelle: www.icantrelaxin.de/faq.html#vier)
Das Gefährliche am Nationalismus ist dessen Funktion gesellschaftlicher Kitt, der die strukturellen Ungleichsverhältnisse wie bswp. Rassismus & Sexismus verdeckt. Soziale Ungleichheit als potentieller Gefahr für “Recht und Ordnung” wird durch den gemeinsamen Bezug auf ein “Wir”, was aber eben nur in der Einbildung existiert, scheinbar ausgeglichen. Gerade in der kapitalistischen Gesellschaft, in der Individuen zu Warennomaden degradiert werden, die zwar ökonomisch gleichgestellt sind, in dem sie ihre Arbeitskraft wie jede_r andere auch verscherbeln müssen, jedoch die Voraussetzung dazu alles andere als gleich sind, braucht es den Nationalismus, um die Ungleichheit aus den Köpfen der Menschen wegzuwischen jund wie wahren Verhältnisse zu verschleiern.
Historische Betrachtung
Geschichte und Bedeutung des Fußballs bis zum Ende des 2. WK
Die Anfänge des Fußballs in Deutschland
1874 wurde das Fußballspiel erstmals in Deutschland von Konrad Koch eingeführt, einem Gymnasiallehrer aus Braunschweig.
Ziel war die Pflege der ethischen Tugenden sowie die Bekämpfung des Bewegungsmangels. Der Fußball musste in Deutschland viel länger als im Mutterland England um seine gesellschaftliche Anerkennung ringen, denn bis ins 20. Jahrhundert war deutsche Leibesertüchtigung und -erziehung gleichbedeutend mit dem seit der Reichsgründung im Jahre 1871 in Schule und Militär fest verankerten Turnen.
Der (vereinsmäßig organisierte) Fußballsport wurde in Deutschland zunächst vorwiegend von den Besserverdienenden bevorzugt, Arbeiter hatten kaum die finanziellen Mittel für die hohen Anschaffungskosten der Ausrüstung. Imitation von studentischen Verbindungskulturen wie die Vereinsnamen „Borussia“, „Alemannia“ und Attribute bürgerlicher Respektabilität, z. B. Orden, Medaillen und Titel wie „Meister“, den es im Berufsleben der Angestellten nicht gab, waren für das frühe Fußballspiel in Deutschland prägend.
Ab 1908 entdeckte auch das Militär den Fußball als erzieherische und körperertüchtigende Maßnahme. Es entstanden Militärmannschaften aus Infanterie, Matrosen und anderen. Ideologisch konnte der sportliche Wettbewerb auch im Sinne des Militarismus genutzt werden, in dem „Schlachten um die Vorherrschaft“ geführt wurden: Angriff, Abwehr, Flanke, Deckung und Parade sind Worte, die direkt aus dem Militärischen stammen. Der ideale Fußballer entsprach dem Bild des modernen Soldaten, er war pflichtbewusst, treu und selbstständig.
Fußball unterm Hakenkreuz
Den Nationalsozialisten missfiel die „Fußlümmelei“ zunächst ob der „undeutschen“ Genese. Das Mutterland lag nun einmal jenseits des Ärmelkanals. Die Niederlagenserie der Nationalmannschaft in den dreißiger Jahren tat ein Übriges dazu, dass man weit eher im Boxen und im Autorennen propagandaträchtige, da erfolgsversprechende und moderne Sportarten erblickte.
Auch war der chronisch traditionslosen und darum extrem synkretistischen (die Vermischung zweier oder mehrerer Lehren) „neuen Bewegung“ jede traditionelle Vergesellschaftung ein Dorn im Auge. Die Verbände der konfessionell gebundenen oder proletarisch gewachsenen Vereine wurden schon 1933 zugunsten des Deutschen Fußballbundes liquidiert. Der DFB profitierte von seiner erzwungenen Monopolstellung auch weit nach 1945. Dieses Monopol bewirkte insbesondere auch das Ende des „wilden“ Straßenfußballs. Aus der Sicht des totalitären Staates erschienen Straßenmannschaften, die sich außerhalb jeder offiziellen Kontrolle bewegten und auch gesellschaftliche Außenseiter integrieren konnten, als eine Bedrohung für das staatliche Gefüge. Vereine besaßen im Gegensatz zu den „wilden“ Straßenmannschaften Satzungen und greifbare Vorstände, waren relativ problemlos gleichzuschalten und kontrollierbar.
In der Weimarer Republik wurde der Fußball als liberalistisch, unmännlich und unheldenhaft verspottet. Vordringliches Anliegen der Nazis war es daher zunächst diesen ins Räderwerk der Propaganda zu integrieren, gewissermaßen eine deutsche Variante zu erfinden. So begann ein häufig konzeptionsloses Einerseits – Andererseits: Zum einen sollte der Sport dazu dienen, germanische/arische Leistungsfähigkeit und Überlegenheit zu demonstrieren und die Identifikation der Bevölkerung mit dem Regime zu erhöhen. Zum anderen und zugleich wurde er bewusst entpolitisiert, um als Medium der Ablenkung und Zerstreuung zu dienen. Die Fußballspieler bewegten sich in einem verordneten und insofern trotz zahlreicher widerständiger Gesten (z.B.: Verweigerung des Hitlergrußes; Anti-Preußischer Jubel des österreichischen Nationalspielers Karl Sesta) systemkonformen Freiraum. Marschik (in: Markwart) gelangt zum Fazit: „Der Fußball als Grauzone der NS-Herrschaft musste
individuelle Interpretations- und Erklärungsspielräume offen lassen, um nationale Wirkungen entfalten zu können.“ Er lavierte permanent – und zwar mit Billigung der Obrigkeit – zwischen Vereinnahmung und Resistenz.
Sportpresse und Wochenschau wären prädestiniert gewesen, das Lavieren zugunsten der Propaganda zu entscheiden. Doch auch sie scheuten davor zurück, den Fußball allzu sehr an die Kandare zu nehmen. Hans-Peter Fuhrmann (in: Markwart) hat erstmals alle Wochenschauen der Kriegsjahre gesichtet. Nur elf Beiträge beschäftigten sich überhaupt mit Fußball. Sie dauerten zwischen 66 und 247 Sekunden, beschränkten sich auf End- und Länderspiele und zeigten rund in der Hälfte aller Einstellungen die Zuschauerränge. In den Fachzeitschriften (insbes. Kicker) erschienen kaum Texte mit offen rassistischem Inhalt. Der Hörfunk ging rabiater zu Werke. Leider ist die Geschichte der Fußballpublizistik aber noch weitgehend unerschlossen.
Der gesamte Sport wurde als „volkstümliches Gemeinschaftserlebnis“ inszeniert. Für diese propagandistische Nutzung war allerdings das Konzept des Amateursportlers ein wesentliches Element. Dies durchzusetzen gelang jedoch ebenfalls nicht vollständig, denn verschiedenste Trainer (z.B. Graf) legten Wert auf professionelle Sportler und beschleunigte so jene den Nationalsozialisten verhasste Entwicklung. selbst die „Pariser Soldatenelf“, gegründet zu Propagandazwecken, trieb diese Entwicklung voran. Die Wettkämpfe vor bis zu 40.000 Zuschauern entwickelten sich zu „modernen, kommerzialisierten Unterhaltungsveranstaltungen“, ganz nach englischem Muster.
MARKWART HERZOG (Hrsg.): Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus. Alltag, Medien, Künste,
Stars. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2008.
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 436 / 16.3.2000
Die Nachkriegszeit bis Anfang der 1990er
Nach dem 2. Weltkrieg wieder-gründete sich der Deutsche Fussball Bund und übte sehr großen Einfluss auf den Fussball der Nachkriegszeit aus, zumahl die Vereine vielfach zerstört. Wie auch in vielen anderen Bereichen saßen auch im sich 1949 mit dem Vorsitzenden Bauwens gegründeten DFB hohe NSDAP-Politiker in der Führungsriege. Um die Wiederkehr des alten Personals zu ermöglichen, waren Bauwens alle Mittel Recht: „Bei den hohen Idealen, die wir vertreten, hört die Demokratie auf“. Gleichzeitig versuchte der DFB den aufkommenden Profifussball mit aller Macht zu behindern und den Amateurdogmatismus bei zu behalten. Nach dem Krieg begannen viele vormals namhafte Vereine Begegnen zu veranstalten, bei denen um Naturalien gespielt wurde, die sog. Kalorienspiele, da die Reichsmark nichts mehr wert war. Fussballerische Fähigkeiten waren gefragt und so zog der Sportkapitalismus in den Fussball ein und die „Krise des Amateursports“ (Bernett, Der jüdische Sport, a.a.O.) nahm ihren Lauf. Der DFB schuf den Status von Vertragsspieler, aber nicht um den Profifussball zu fördern, sondern um die Profifussballer zu isolieren und zu schickanieren. So galten Vertragsfussballer nicht als Arbeitnehmer und hatten entsprechend auch nicht deren Rechte. Bsp. konnte ein Verein einem Spieler kündigen – umgekehrt aber nicht. Außerdem wurde ein Spieler für 12 Monate gesperrt, wenn er den Verein wechselte, für 18 Monate, sofern der ehemalige Verein keine Freigabe erteilt. Der „reine Amateur“ sollte vor dem schädlichen Einfluss der Profis geschützt werden, was nicht als antikapitalisitische Geisteshaltung zu verstehen ist, sondern vielmehr einer völkisch-konservativen Wertvorstellung eines „wahren, unbeschmutzten Amateursportlers“ entspricht, der nicht des Geldes wegen, sondern der zur Volksertüchtigung, für Verein & Vaterland die Buffer schnürt und sich nicht der Kontrolle des DFBs entzieht. Auch könnten antisemitische Stereotypen hier ausfindig gemacht werden.
Die Wieder-Gründung des DFB stellt also alles andere als ein Bruch zu NS-Zeit dar. Ganz im Gegenteil wurden Gesinnungen, Personalien & Rhetorik weitesgehend weitergeführt. Typisch deutsch ist auch das autoritäre Verhalten und Machtstreben, sowie die Geschichtserblindung. An die „schlimmen Zeit“ sollte nur noch die sportlichen Begegnungen und Ergebnisse erinnern: „Unsere Art ist es nicht, zu fragen: ‚Wie war damals, oder wie ist heute deine politische Überzeugung?‘, sondern wir fragen nur: ‚Bist du auch heute noch der liebe, anständige Kamerad, als den ich dich kenne seit der Zeit, als du damals als rechter Läufer bei der zweiten Mannschaft von Teutonia- Adorf spieltest‘?. (17)
(Quelle: A. Heinrich: Der deutsche Fussballbund – Eine politische Geschichte. 2000)
Der Bruch durch die entfesselte Kommerzialisierung
Das enge Verhältnis zwischen nationalen Proficlubs und der DFB-Auswahlmannschaft („Nationalmannschaft“) destablisierte sich enorm Mitte der 1990er Jahre. Lars Bretthauer nennt in seinem Text „22 legs that make a nation – Fussball und deutscher Nationalismus“ zwei Gründe für diese Entwicklung.
Zum Einen wurde durch das Bosman-Urteil von 1995 der Fussball „Entnationalisiert“. Der belgische Fussballprofi Jean-Marc Bosman erhielt vor dem europäischen Gerichtshof mit seiner Klage recht, die sich gegen die Transfer-und Ausländerbeschränkung der europäischen Fussballligen wandte. Bis dato durften nur drei Spieler einer Mannschaft ohne deutschen Pass auf dem Platz stehen. Durch die Liberalisierung setzten verstärkt auch deutsche Fussballvereine auf ausländische Profis und weichten somit den Zusammenhang zwischen Vereinsfussball und Nationalmannschaft zunehmend auf. Die mehr und mehr internationale Besetzung der Vereinsmannschaften wurde normalisiert. Was 1970 noch eine heftige Debatte auslöste, und zwar das „Vaterlandsverräter“ Günther Netzer ins Ausland zu Real Madrid wechselte, wird heute z.B. im Fall des Wechsels von Michael Ballack zum FC Chelsea eher wohlwollend aufgenommen; Fussballdeutschland ist stolz auf seine (wenigen) qualtitativ hochwertigen Fussballer, die sie im Ausland vertreten. Diese Entwicklung verläuft keineswegs linear und reibungslos. Gerade auf das Bosman-Urteil gab es vielerorts Reaktionen, die von einer „Überfremdung“ des deutschen Fussballs sprachen und die fehlende Förderung deutscher Talente prognostizierte. Der DFB, der immer noch ein Stück weiter rechts von Gesellschaft steht, natürlich mittendrin – hatte er doch noch sehr an der Auflösung des Amateur-Dogmas zu knappsen.
Zum Andernen wurde die Kommerzialisierung des Fussballs in den 1990er massiv vorangetrieben und die Trennung von Ökonomie und Sport weiter aufgeweicht. Dadurch verliert der Fussball nicht an nationaler Identifikationskraft, aber die Bezugspunkte zur Nation sind andere.
Nachdem der Vereinsfussball zunehmend auf ausländische Sportler als Leistungsträger setzte, entbrannte auch eine Debatte, welche Spieler für die deutsche Nationalmannschaft geeignet seien. Während dabei zunächst hauptsächlich Spieler eingebürgert werden sollten und auch eingebürgert wurden, die deutsche Verwandte haben (also die “Blutslinie” sie für die DFB-Auswahl qualifizierte), traten nach und nach auch Spieler mit Migrationshintergrund in den Kreis der Nationalmannschaft ein. Als mit Asamoah, ein schwarzer Spieler ghanaischer Herkunft, für Deutschland auflief spielte die Hautfarbe und Herkunft im gesellschaftlichen Diskurs, wer deutsch genug ist, um für die brd zu spielen, kaum noch eine Rolle. Vielmehr schlug eine Kampagne der NPD gegen Asamoah große Wellen und die Fussballpresse reagierte mit Verwunderung und großer Ablehnung. Ein Migrationshintergrund stellt kein Problem für das nationale Selbstverständnis mehr dar, was im Gegensatz zu offener Diskrimierung durchaus als Fortschritt gewertet werden kann. Allerdings wurde gerade im Fall Asamoah seine “sympathische Art” und “entspannte Art und Weise” betont, als seien dies typisch deutsche Eigenschaften die ihn für die deutsche Nationalmannschaft qualifizieren. Die Migrationshintergründe werden tendenziell eher verschwiegen. Auch passt sich die Fussballkultur der im Sinne des Kapitalismus globalisierten Welt an, in dem Menschen in erster Linie nach ihrere ökonomischen Verwertbarkeit unterschieden werden.
Außen vor stehen dabei Spieler mit türkischer Herkunft, über deren Verwertbarkeit für Fussball- Deutschland weitesgehend geschwiegen wird. Vielleicht symbolisiert die türkische Gemeinschaft in der brd noch zu viel “Anderes” als es den Assimilierungsansprüchen des deutschenn Fussballkollektivs, deren Spieler wie Klose und Podolski mit polnischem Hintergrund, genügen.
Das “Internationalisierung” des Vereinsfussballs und auch der Nationalmannschaft waren ausschlaggebend für den Fussballnationalismus, wie wir ihn heute erleben. Die Ent-biologisierung machte ihn massentauglich – auch für jene, die Fussballnationalismus auf Grund des vormals offentsichlichen rassistischen Beigeschmack kritisch gegenüberstanden. Nun, wo du deutsche Nationalmannschaft Spieler unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft zu vereinen scheint, glauben viele, sich endlich der NS-Vergangenheit entledigen zu können. Auch hier findet in der
Fussballkultur Diskurs statt, der in anderen gesellschaftlichen Sphären unter dem Namen Schlusstrich-Debatte stattfindet.
Aktuelle Entwicklung
Das Feiern des Konstrukts Nation hat sich über die letzten Jahre in den Gesellschaften, allen voran in der Deutschen, etabliert. Eine Art neue Volksgemeinschaft wird projektiert. Medien und Nationale Politiker suggerieren ein völkisches Kollektiv. Und dieses wird von den Deutschen ohne Widerspruch, sondern dankend angenommen. Reflexion erscheint hierbei als Fremdwort. Stattdessen wird einheitlich die Nation gefeiert. Ein „Wir“- Gefühl, wie es die Medien und Zeitungen schon seit Jahren suggerieren, macht sich wieder breit.
Dem zu Folge gibt es auch einen Gegenpol: „Die Anderen“. „Die Anderen“, dass sind die, die nicht mit Schwarz- Rot- Goldenen Fahnen im Pulk mitmischen, oder die, die eine andere Nation, ebenso völkisch, abfeiern. Ausgrenzung, eine Spaltung der Menschen untereinander, ist die Folge. Xenophobe, rassistische und antisemitische Übergriffe sind das Ergebnis. Dieses Ergebnis bestätigt die letzte Fußballweltmeisterschaft der Männer 2006, als der Deutsche Mob in Sachsen Hatz auf MigrantInnen machte, Dönerbuden anzündete und der Welt zeigte, dass sie nicht „zu Gast bei Freunden“ ist.
Die nationalistische Zivilgesellschaft distanziert sich nur über die Presse entrüstet, wenn es zu solchen völkisch motivierten Übergriffen kommt. Die Presse stellt mit ihrer Berichterstattung die Nation wieder ins rechte Licht, um das Konstrukt gegenüber den anderen Nationen nicht rassistisch wirken zu lassen, verschleiert aber die gesellschaftlichen Zustände, die diese Übergriffe erst möglich gemacht haben und dass die Gesamtgesellschaft latent und eher zurückhaltend die Nation feiert. So können sich, ganz ohne Gegenwehr, Rassismus und Antisemitismus breit machen.
Monatelang wurde in den Medien die Frage gestellt: „Schaffen die Schwarzen das überhaupt, eine Weltmeisterschaft zu organisieren?“ Da erinnern dieselben Medien in einem Atemzug auch gerne an die Männerfußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland, in deren Verlauf es dank Deutscher Ordentlichkeit, nicht zu solchen Szenen gekommen ist wie bei dem Freundschaftsspiel Nigeria gegen Nordkorea (Tote bei Massenpanik), ohne dabei die Übergriffe auf „die Anderen“ zu nennen. Und eben dies schürt den Rassismus.
Im Überschwang der nationalen Gefühle kommt es aber auch bei, der sonst so auf Mäßigung und Darstellung eines „positiven Nationalismus“ bedachten Pressevertretern zu „sprachlichen Entgleisungen“ (ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz) wie jüngst bei der ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein, die in der Halbzeitanalyse des WM-Spiels Deutschland gegen Australien (13.06.2010) wörtlich sagte: „Das war für Miro Klose doch ein innerer Reichsparteitag[…].“ Die Kultur der Fußballanhänger, des Fantums, sorgt für eine Entzweiung und ruft atavistische Gefühle des Nationalismus hervor, wie der Soziologe und Politikwissenschaftler Andrei S. Markovits (TAZ vom 23.06.2008) hervorhebt.
Offener Rassismus der Anhänger der Nationalmannschaft zeigte sich z.B. nach dem Foul von Kevin-Prince Boateng an Michael Ballack im FA-Cup-Finale, das dessen WM Aus bedeutete. Massive rassistische Anfeindungen, Lynchdrohungen uvm konnten z.B. in sozialen Netzwerken wie Facebook zu Tausenden bestaunt werden.
Dabei geht es gerade in der WM der Männer überhaupt nicht mehr um Fußball. Es ist ein kollektives Abfeiern und Fahnenschwenken im Sinne der Nation, völkisch motiviert. Anders lässt sich sogenanntes Public Viewing nicht beschreiben.
Der deutsche Fußball hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass Nationalismus zu einer salonfähigen Einstellung geworden ist. In diesem Zusammenhang ist aber auch die Funktion der Popkultur nicht zu unterschätzen. Auch bei der Siegerin des Eurovision Songcontest 2010, Lena Meyer-Landrut, zeigte sich wunderbar wie ein medialer National-hype entsteht auf Grund eines inter-nationalen Wettbewerbs. Lena wurde zur „Volks-Lena“ hochgejubelt und somit Sinnbild für ein „neues, starkes Deutschland“ (Bild). In „die tageszeitung“ vom 1. Juni 2010 wird treffend bilanziert: „Dieser neue Hype um Lena beinhaltet auf subtile Art und Weise durchaus die Gefahr, als Nation besser sein zu wollen als andere. Damit geht auch die Gefahr einher, das Nationale zu einer gesellschaftlichen Kategorie zu machen, die wieder wichtiger wird.“
Die den deutschen Fußballern zugeschriebenen Sekundärtugenden sind Disziplin sprich Gehorsam, Arbeit sprich Tugend, Organisierung sprich Unterordnung im System und natürlich Kampfgeist. Auf den Punkt gebracht hat dies Helmut Kohl 1986 in Mexiko mit den Worten: „Grob gesagt, gibt diese Mannschaft schon etwas wieder vom Nationalcharakter unseres Volkes. Sie hat gekämpft, nie aufgegeben und war immer mit vollem Einsatz dabei.” (Helmut Kohl, 1986, Mexiko)
Dieses kriegerische Image versuchen DFB, Politik und Wirtschaft seit einigen Jahren abzuschütteln. Im Ausland scheint dieses neue Bild allerdings noch nicht komplett adaptiert zu sein:
ITALIEN:
La Stampa: „Zu viel Deutschland. Die Deutschen geben der WM den ersten Stoß. Ein
multiethnischer Panzer mit vortrefflichen Füßen.“
SÜDAFRIKA:
The Star: „Deutscher Blitzkrieg versenkt die Socceroos.“
GROßBRITANNIEN:
The Mirror: „Deutschland begann die WM in typisch gnadenloser Art.“
SERBIEN:
Blic: „Panzer erniedrigen Australien – Deutsche Maschine.“
Press: „Mächtige Panzer zeigen das bisher beste Spiel der WM.“
(Alle: 14.06.2010)
Die Interessen, die bei Großereignissen wie der WM eine Rolle spielen, lassen sich anschaulich in drei Gruppen einteilen: Wirtschaft, Politik und die Interessen der Mehrheitsbevölkerung. Die deutschen Politiker_innen und Lobbyist_innen wollen den Wirtschaftsstandort Deutschland fördern und sind allein aus diesem Grund natürlich daran interessiert, dass die (Kauf-)Laune im Land gut ist. Gerade während der WM 2006 wurde immer wieder von Politiker_innen betont, dass der Freudentaumel etwas Schönes sei. Gesellschaftlich problematische Themen, wie Kürzungen im Sozialbereich (Hartz IV), Gesundheitsreform, Anhebung der Mehrwertsteuer, konnten unter diesem kollektiven Freudentaumel versteckt werden.
Die Hoffnung auf den Sieg bei der Weltmeisterschaft wurde schließlich von der Mehrheitsbevölkerung verinnerlicht, wie an der exzessiven Beflaggung gesehen werden konnte/kann. Die Interessen von Wirtschaft und Politik fanden somit eine Entsprechung im Bedürfnis der Bevölkerung nach Identifikation. Die WM 2006 war geprägt von einem Wir-Gefühl, und eine kritische Perspektive auf den deutschen Party Patriotismus wurde häufig nur mit Ablehnung bestraft.
Das große Interesse, welches insbesondere die Wirtschaft an einer positiven Identifikation der Menschen mit der Nation Deutschland hat, kann auch an der „Du bist Deutschland“-Kampagne sehr gut aufgezeigt werden. Die Kampagne war ab 2005 in den deutschen Medien zu sehen und wurde von vielen Wirtschaftsunternehmen und Prominenten unterstützt. Sie hatte einzig zum Ziel, ein positives Bild von Deutschland zu vermitteln und den Menschen das Gefühl zu geben, selbst ein wichtiger Teil der Nation Deutschland zu sein.
Literatur
– Deutschlandwunder (kittkritik)
– I can’t relax in deutschland
– Arthur Heinrich: Der Deutsche Fussballbund – Eine politische Geschichte