Antiziganismus-Reihe am 19.01 und 31.01.
Massenmord, Vogelfrei und Zwangsboheme für alle
Im Januar macht USP-antirazzista eine kleine Reihe zum Thema Antiziganismus. Im Folgenden nun ne kurze Einleitung zum Thema, hoffentlich nicht allzu trocken und halbwegs dazu geegnet die message zu kiggn. Is nämlich ein derbe wichtiges Thema, sogar incl. etwas Fußballrelevanz , da Hassparolen gg. „die Zigeuner“ ja nicht nur in osteuropäischen Kurven an der Tagesordnung sind.
Bei Antiziganismus handelt es sich um Rassismus, Resentiments, Romantisierungen, Stereotypisierungen, etc. gegenüber Sinti und Roma (stigmatisierte Bezeichnung: „Zigeuner“).
„Lustig ist das Zigeunerleben, faria faria ho…“ (Refrain, Volkslied)
Die Verfolgung, Überwachung und Ermordung von Sinti und Roma hat eine lange Geschichte. So wurden die Anfangs als Pilger geduldeten Roma ab dem späten 15 Jahrhundert zum ersten mal für vogelfrei erklärt, was bedeutete, dass sie ohne Grund getötet werden durften. Die ersten Verfolgungen in der aufdämmernden Moderne werden hauptsächlich religiös begründet.
Die Verfolgungspolitik setzte sich fort und mit der beginnenden Aufklärung kamen neue Zuschreibungen ins brutale Spiel. So sollten „die Zigeuner“ im Sinne der bürgerlichen Gesellschaft, ihrerseits stark beeinflusst vom protestantischen Arbeitsethos („schaffe, schaffe Häusle baue till death“, oder so ähnlich), umerzogen werden, was Zwangsansiedlung, Wegnahme der Kinder, etc. bedeutete. Damit waren sie allerdings nicht allein, denn am Anfang der modernen Arbeitsgesellschaft stand für viele Menschen die sich nicht an die entfremdete Lohnarbeit verkaufen wollten das Arbeits-, das Zucht- oder das Irrenhaus zur Zurichtung bereit. Hierbei waren alle Landreisenden ein Problem für die neue Ordnung und sie wurden zunehmend mit antiziganistischen Stereotypen belegt. Insbesondere Sinti und Roma wurden immer mehr zum Ziel staatlicher Repression und gewaltsamer Übergriffe.
In der sog. „Zigeunerforschung“ ab dem 18. Jahrhundert wurden Roma und Sinti sukzessive zu einem ganz anderen Volk rassifiziert. Hier wurde dann später aus einem ganz anderen Volk eine ganz andere Rasse mit eigenen biologischen Merkmalen konstruiert. Besonders hervor getan hat sich hierbei der Schädelvermesser und Vollwahnsinnige Robert Ritter vom rassehygienischen Institut im Nationalsozialismus. Eine Kontinuität der Zuschreibungen (Nichtsesshaftigkeit, Primitivität, spezifische Kriminalität, etc.) war in allen Phasen der „Zigeunerforschung“ zu erkennen und sogar die komplett kranke Hirnwichse des Herrn Ritter fand auch in der Nachkriegszeit weiter hohe Beachtung im wissenschaftlichen Diskurs.
Im Deutschen Reich und in der Weimarer Republik hat sich die Überwachung dann noch einmal verschlimmert und es fand eine „Totalerfassung aller Zigeuner“ statt. 1926 wurde das „Gesetz zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen“ verabschiedet (übrigens 1956 nur leicht abgewandelt wieder aufgelegt). Diese Strukturen wurden im Nationalsozialismus Stück für Stück ausgebaut, bis hin zum planmäßigen Massenmord an Sinti und Roma. Auch in der Nachkriegszeit wurden die „Zigeunerakten“ weiter verwandt und viele der Akteure des Massenmords waren nach 1945 als polizeiliche Erfasser tätig. Der Völkermord gegen die Sinti und Roma wurde lange komplett verschwiegen und erst Anfang der 1980er Jahre durch den Druck der Sinti und Roma Bewegung halbherzig anerkannt. Ausreichende Entschädigungen blieben jedoch aus.
In den frühen 1990ern kämpften einige Sinti und Roma, teils erfolgreich, gegen ihre Abschiebung (u.a. in Neuengamme) und auch heute noch sind viele von ihnen durch Abschiebung bedroht. In Folge des Zusammenbruchs des Realsozialismus kam es in Deutschland (u.a. Rostock-Lichtenhagen) und in vielen Ländern des Ostblocks zu weiteren Verfolgungen, Vertreibungen und Pogromen. Nach den Übergriffen, Enteignungen und Morden durch albanische Nationalisten im Kosovo 1999 und 2004 waren 100.000 Roma auf der Flucht.
In Jüngster Zeit sorgten die antiziganistischen Pogrome in Italien, Tschechien und in Rumänien für weitere traurige Schlagzeilen. Nach einer Emnid-Studie von 1994 wollen 64% der Deutschen „keine Zigeuner als Nachbarn haben“ und viele Sinti und Roma sind weiter stark sozial benachteiligt und ausgegrenzt. An den Zuschreibungen hat sich kaum etwas geändert: sie schwanken zwischen ablehnend (dreckig, stehlend, vaterlandslos, etc.) und romantisierend (wild, frei, musikalisch, etc.). Sogar in der antirassistischen Linken wurde das Thema Antiziganismus lange kaum beachtet und die neuere Forschung zum Thema hat beträchtliche Lücken, wenn es darum geht, die gesellschaftlichen Ursachen des Antiziganismus zu benennen.
Und die Hand wandert zur Nase – oder check ma’ dein System, Digga!
Es gibt jedoch ein paar wenige Texte, die versuchen die gemeinsamen Strukturen von Antiziganismus und Kapitalismus heraus zu stellen. Hier nun eine sehr oberflächliche Minizusammenfassung davon.
Scheinbar existieren unsichtbare gesellschaftliche Tiefendimensionen, die zur Vernichtung sowie zur Verdrängung führen und die sichtbar gemacht werden müssen.
Ein Zusammenhang besteht zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und antiziganistischer Ideologiebildung. Hier ist die Entstehung der abstrakten Arbeit zu nennen, mit deren Gegenteil, nämlich der „schmarotzenden Nichtarbeit“, der „Zigeuner“ häufig identifiziert wird.
In dem Zusammenhang bestehen Parallelen zum Antisemitismus. Auch „die Juden“ werden von AntisemitInnen mit „schmarotzender Nichtarbeit“ bzw. dem „raffenden Kapital“ identifiziert. Orientiert sich der Antisemitismus nach Oben und versucht eine allmächtige, konspirativ agierende Gruppe ausfindig zu machen, so sucht der Anitiziganismus am Boden der Gesellschaft nach Schädlingen und Blutsaugern sowie nach „minderwertigem Leben“. Beiden Ideologien ist gemein, dass sie außerhalb der eigenen Gruppe eine andere Gruppe für jeden Scheiß verantwortlich machen können, ohne sich selbst an die eigene Kartoffelnase packen, bzw. das eigene Gesellschaftssystem hinterfragen zu müssen.
Die Sündenbockzuschreibung funktioniert bei beiden Ideologien auch ohne konkrete Juden bzw. „Zigeuner“ und könnte als struktureller Antisemitismus/Antiziganismus bezeichnet werden. Demnach können alle gesellschaftlichen Akteure, die es im Kapitalismus „nicht mehr schaffen“, die wegrationalisiert und im kapitalistischen Sinne überflüssig werden, zum Opfer von antiziganistischen Projektionen werden. Alle, die aus dem kapitalistischen Normalzustand herausfallen sind potenzielle Ziele staatlicher Repression und kapitalistischer Menschenverwaltung mit der letzen Konsequenz des Lagers. Ganz besonders gilt dies für Flüchtlinge und Menschen ohne Papiere.
Gerade in der weltweiten Krise des Kapitalismus wo die Arbeit wegrationalisiert wird und immer mehr Menschen von der Verwertungsmaschine ausgespuckt werden, sind antiziganistische Projektionen, Zwangsmaßnahmen und gewalttätige Übergriffe sehr wahrscheinlich. Und diese können letztlich alle treffen, auch wenn sie für Sinti und Roma, gleichgültig ihrer individuellen sozialen Situation, eine allgegenwärtige Bedrohung darstellen, denn kaum eine andere Minderheit ist so sehr an die zugeschriebenen Stereotype gebunden wie die Sinti und Roma.
Im Antiziganismus spiegelt sich die Angst aller Menschen, aus dem Recht zu fallen, „vogelfrei“ zu werden und auf das nackte Leben reduziert zu sein. Es wirkt äußerst disziplinierend auf die Menschen, wenn ihnen ständig vor Augen geführt wird, wo sie landen könnten, wenn sie sich „wie ein Zigeuner aufführen“. Ebenso können im antiziganistischen Pogrom eigene Hoffnungen und Sehnsüchte mit verbrannt werden. Auch eine herrschaftskonforme Form der Triebabfuhr ist dem Antiziganismus eingeschrieben. Der geplagte und aufrührerische Untertan findet im Pogrom ein Ablassventil im Sinne der herrschenden Ordnung. Die Triebstruktur der Untertanen korrespondiert im Antiziganismus ganz prima mit dem Machtkalkül der Herrschaft. Weiterhin finden die geplagten Untertanen unter sich noch „niedere“ Untertanen. Egoboosting der perfidesten Form. Es könnte also gesagt werden, dass die Sündenböcke zu ihrem eigenen Pech, die Stützpfeiler einer gesellschaftlichen Ordnung sind, die oft für sie nicht viel mehr zu bieten hat als Repression, Verfolgung, Gewalt und Mord.
Auch die Romantisierung eines wilden und freien Lebens am Rande der Gesellschaft, wie sie bspw. häufig in lifestyleanarchistischen Kontexten anzutreffen ist, hilft hier nicht viel weiter. Zum einen sind solche Individualausbrüche aus der Gesellschaft keine progressive Alternative zum Kapitalismus sondern individuelle Überlebens- und Ausstiegsstrategien die in einer weiteren Verschärfung der Krise schnell zum Zwang für viele Menschen werden könnten (Lager, Elendsverwaltung, etc.). Sie weisen also nicht über den Kapitalismus hinaus und stellen eine verkürzte Zivilisationskritik dar. Eine Romantisierung „des Zigeunerlebens“ ist auch eine rassistische Zuschreibung und keine geeignete Kritik am Antiziganismus. Der Anitziganismus ist eine spezifische, sehr flexible Variante des Rassismus und eine zentrale Form in der die Barbarei im Kapitalismus sichtbar wird. Das „Zigeunerstereotyp“ wird erst sein Ende finden, wenn der Kapitalismus sein Ende findet. Eine Kritik des Kapitalismus kann in diesem Text nicht weiter behandelt werden. Aktuell geht es erstmal darum antiziganistische Konstruktionen in all ihrer Vielfalt und Brutalität sichtbar zu machen. Wir sollten alles dafür tun, dass folgende Befürchtung der Punkband Bombenalarm nicht weiter wahr wird: „Auschwitz wasn’t the beginning. And for sure it was not the end…“
Nehmt zahlreich an unseren Veranstaltungen zum Thema teil!
Am 19.01.10 um 20h zu Vortrag und Diskussion mit Markus End (Herausgeber des Buches „Antiziganistische Zustände“ auf dem auch Teile dieses Textes basieren) im Fanladen
Am 31.01.10 mit zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Treffpunkt 10:30h@ S-Sternschanze. Kurze Anmeldung an antirazzista@ultra-stpauli.de wäre cool). Dort wird es einen Rundgang zum Thema von Kathrin Herold geben, die ebenfalls eine Mitherausgeberin des o.g. Buches ist. Alerta!