7. Juni, 19h @ centro sociale: Migrationsregime, Illegalisierung und die nackte Arbeitskraft

Ein Vortrag der rotten system! rotten world? – Reihe in Zusammenarbeit mit USP Antirazzista.

Von Anfang an war Migration eine der wichtigsten Bedingungen und Herausforderungen des Kapitalismus. Nur durch die Mobilisierung von Menschen kann den Produktionsorten die notwendige Arbeitskraft zugeführt, nur durch Immobilisierung können Menschen in Ausbeutungsverhältnissen festgehalten werden. Ohne migrierende Arbeiter_innen keine Ausbeutung, ohne Ausbeutung kein Mehrwert, ohne Mehrwert kein Kapitalismus. Gleichzeitig ist die Mobilität der Menschen aber auch angetrieben von dem Wunsch, unerträglichen Verhältnissen zu entkommen und der Hoffnung, einen Ort zu finden, an dem ein anderes oder gar ein gutes Leben möglich sein könnte.

Die globale Ordnung der Nationalstaaten steht diesem Begehren der Migration entgegen. Durch die Nationform werden Subjekte ausschließlich einem Volk und einem Herrschaftsgebiet – „ihrer Heimat“ – zugeschrieben. Die legalen Möglichkeiten zur „Einwanderung“ werden demzufolge von den Gesetzen des jeweiligen Nationalstaates abhängig gemacht. Neben der rassistischen Paranoia ist die Verwertbarkeit für das nationale Kapital dabei die entscheidende Bedingung. Die lokalen, nationalen und supranationalen Grenzen bilden Migrationsregime, durch die die Bevölkerungen für die Kapitalverwertung am jeweiligen Standort produktiv gemacht werden sollen.

Das postkoloniale Verhältnis zwischen Europa und den Regionen des globalen Südens zeigt sich in einer weiterhin ungleichen Arbeitsteilung sowie dem verfestigten Wohlstandgefälle. Durch den sich zuspitzenden Widerspruch des Kapitals – „daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren sucht, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt“ (Marx) – werden zudem immer mehr Menschen als Arbeitskräfte überflüssig. Es entstehen „Risikopopulationen“ und ganze Regionen, die nicht mehr friedlich in das globalisierte Kapitalverhältnis integriert werden, diesem aber auch nicht entkommen können. Ein globalisiertes Migrationsregime zielt folglich darauf ab, bestimmte Bevölkerungen innerhalb nationaler Grenzen zu immobilisieren – die herrschende „Entwicklungspolitik“ trägt ihren Teil dazu bei.

Doch Migration lässt sich nicht so einfach steuern. Zwar werden die Grenzen der unionseuropäischen Staaten immer weiter militärisch-technologisch aufgerüstet, wodurch jährlich Tausende beim Versuch in die EU zu kommen getötet werden und unzählige die Reise nicht unbeschadet überstehen. Dennoch gelingt es einigen, trotz der proklamierten Abschottung nach Europa zu kommen. Gerade dieses „Scheitern“ der Politik macht die Migration aber für die europäisch-nationalen Volkswirtschaften produktiv: Durch diverse Formen der Entrechtung sowie das allgegenwärtige Risiko einer Abschiebung können diejenigen, die als Migrant_innen angerufen werden, besonders intensiv ausgebeutet werden. Sie müssen schlecht bezahlte und prekäre Jobs im Dienstleistungs-, Agrar- und Bausektor annehmen und im Falle der Arbeitslosigkeit oft in ein Herkunftsland zurückkehren, um ihre Lebenskosten aufzuwenden.

Im Verlauf der globalen Krise des Kapitalismus verändern sich auch die Verhältnisse der Kontrolle und Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft. Parallel zu der Krise des Euro ist es zu einer Krise der unionseuropäischen Migrationspolitik gekommen, die sich etwa im Streit um die griechische Flüchtlingspolitik oder die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengenraum zeigt. Dabei ist eine zentrale Frage zur Diskussion, wie die systemische Krise der kapitalistischen Produktionsweise mit der Transformation von Migrationsregimen zusammenhängt.

Von Antirazzista am 4. Juni 2012 12:58 in Antirazzista